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"Killing of a Sacred Deer": Der Herrscher in seiner Machtlosigkeit

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"Killing of a Sacred Deer" ist Yorgos Lanthimos' Variante der Iphigenie-Erzählung.

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"Killing of a Sacred Deer" ist Yorgos Lanthimos' Variante der Iphigenie-Erzählung.

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Wenn etwas schiefgeht, besteht ein menschlicher Impuls darin, die Verantwortung von sich zu schieben. Im drückenden Entscheidungsspiel "The Killing of a Sacred Deer" formuliert es der Herzchirurg folgendermaßen: Bei Operationen ist es der Anästhesist, der den Patienten umbringt, nie der Chirurg.

Das genaue Gegenteil behauptet eine Weile später sein Kollege, der Anästhesist. Um Ersteren zur Verantwortung zu ziehen, pirscht sich im jüngsten Werk von Yorgos Lanthimos ("Dogtooth","The Lobster") eine höhere Macht an. Ihr Sprachrohr soll Martin (Barry Keoghan) werden, ein Teenager, über dem zunächst ein Fragezeichen steht: Was verheimlicht der gute Dr. Murphy (Colin Farrell) an dem Jungen, dem er seine Zeit sogar in Form einer Armbanduhr schenkt? Warum gibt er ihn als Schulfreund seiner Tochter aus, lädt ihn zu sich, Frau und Kindern zum Essen ein? Wann zieht er die Grenze, als ihm der Halbwüchsige ständig nachstellt?

Weidlich wird diese Spannung ausgekostet, ehe die beiden an einem Tisch gegenüber sitzen und es aus Martin sprudelt: Dafür, dass Murphy seinen Vater am OP-Tisch getötet hat, muss der nun jemanden aus seiner Familie umbringen. Macht er es nicht, müssen alle sterben. Mehr als deutlich fallen die Hinweise auf das berühmte Motiv aus, das Lanthimos hier verarbeitet und schärft -jenes der Iphigenie, die als Sühne von ihrem Vater, König Agamemnon, geopfert werden soll, weil er im Hain der Göttin Artemis einen Hirschen erlegte.

Eine archaische Lektion

Antikes steckt sogar im Vollbart von Colin Farrell. In moderner Gestalt, als Herrscher im Reich der Wissenschaft und ebenso dominanter Faktor im eigenen Haus, muss er erst noch die Machtlosigkeit begreifen, mit der ihm eine harsche, archaische Lektion erteilt wird. Verstörend ansatzlos legt das Drehbuch, das 2017 in Cannes ausgezeichnet wurde, das Extremverhalten der menschlichen Seele frei, das Rationalisieren, Beknien; die Ellenbogen, die im Überlebenskampf ausgefahren werden.

Seine außergewöhnliche Wirkung erhält "The Killing of a Sacred Deer" dabei durch die Stimmung, die er aufbaut. Wenn er sein inhaltliches Gerüst im alten Griechenland sucht, dann mag sein filmisches am ehesten bei Stanley Kubrick liegen. Beim zutiefst Beunruhigenden, Mysteriösen von "Eyes Wide Shut", an dem die Kompositionen von György Ligeti ihren Anteil hatten, die hier ebenso zu hören sind wie jene der Russin Sofia Gubaidulina. Und in den präzisen, ins Mark erschütternden Einstellungen, die der legendäre John Alcott einst für "The Shining" schuf, denen Kameramann Thimios Bakatakis hier nacheifert. Oft ist Lanthimos' Variante der ewigen Iphigenie-Erzählung deshalb eine unangenehme Erfahrung. Aber auf inspirierende Weise.

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