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Korrumpierte Gefühle

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Unter dem Geschichtsdeckel, den der 1956 in Graz geborene Autor Wolfgang Siegmund mit „Das Mädchen des Poeten” aufhebt, riecht es, wie es darin heißt, „verdammt nach Jauche”.

Die Freundschaft zwischen Esther, die einst als Geliebte eines Dichters auf der Flucht vor den Nazis nach Marseille gelangte,- und Paulina, die als Wehrmachtshelferin eines Gestapo-Offiziers in diese Flüchtlings-Hochburg kam, besteht und kann nur an der Oberfläche bestehen. Gemeinsam ist ihnen allein der Rahmen der Erinnerung an die „gemeinsame” Zeit in der Hafenstadt, in die sie jetzt nach 50 Jahren zurückgekehrt sind, und an den immer noch amtierenden Hotelier, dem Esther damals vergeblich eine Nacht geopfert hatte, um ihren Poeten vor den Häschern Paulinas zu retten. Doch während Esther versucht, die durch Schmerz ausgelöschten Seiten ihres Lebensbuches mittels Projektion auf das Stubenmädchen und deren Liebhaber neu zu beschriften, filtert Paulina diese Lebensphase und läßt nur das Angenehme und Schöne ins Gedächtnis tropfen.

Am Beginn des durch Straffung dicht gewordenen Stückes meinte so manche(r) im Publikum noch über Sätze wie, „das Altwerden ist wie eine Muschelsuppe ohne Besteck”, lachen zu können, doch im Verlauf der Handlung geht die scheinbare Komik mehr und mehr in Betroffenheit über. Insbesondere Brigitte Neumeister verleiht Paulina, dem faltig gewordenen Modepüppchen in Braun, mit kreischender Stimme einen grellen Charakter, der vor allem in den Bückblenden sein wahres, gar nicht lächerliches Gesicht zeigt. Dagegen macht Maria Urbans Verhaltenheit als Esther diese, die Bilder von damals nicht loswerdende Figur bis zur Beklemmung tragisch. Als kolabo-rierender, schmieriger Hotelbesitzer sticht Bobert Hauer-Riedl unter den männlichen Darstellern stark hervor.

Daß dieses Stück über gewöhnliche Menschen, deren Gefühle in diesem Unrechts-Regime zwangsläufig korrumpiert werden, weil es darin niemandem, nicht einmal den Opfern gelingt, wahrhaftig zu bleiben, zu einem Erfolg wurde, verdankt der Autor auch dem jungen Regisseur Martin Gruber sowie dem Bühnenbildner Stefan Bieckhoff.

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