TheOrdinaries - still - © Foto: Polyfilm

Mehr als ein erfrischendes Adoleszenz-Drama

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Die Autorin Heidi Strobel über den Film „The Ordinaries“ der Regisseurin Sophie Linnenbaum.

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Die Autorin Heidi Strobel über den Film „The Ordinaries“ der Regisseurin Sophie Linnenbaum.

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I n der Imagination kann jeder Gegenstand beseelt werden. Die Regisseurin Sophie Linnenbaum erweckt Filmbegriffe zum Leben und schöpft daraus eine gesellschaftskritische Fabel, die vor Einfallsreichtum strotzt. „The Ordinaries“ spielt in einer Drei-Klassen-Gesellschaft bestehend aus Haupt- und Nebenfiguren und fehlerhaften Figuren, den „Outtakes“. Sie alle werden definiert und definieren sich selbst qua ihrer Funktion im Film. Als sozial erstrebenswert gilt, eine Figur höchster Aufmerksamkeit zu sein. Auch Paula hegt diese Aufstiegssehnsucht. Wie ihr ums Leben gekommener, idealisierter Vater will die 16-Jährige eine ganz besondere Hauptfigur werden. Denn nur ihr stehen ausdrucksvolle Monologe zu, nur sie darf Gefühle zum Strahlen bringen. Linnenbaum inszeniert diese Verheißung mit leichter Hand, indem sie Muster des klassischen Hollywood-Musicals – eines der paradigmatischen Genres für große Gefühle – organisch einfließen lässt. So stellen Paulas Freundin Hannah und deren Familie mit glanzvollen Gesangsnummern und Tanzeinlagen ihr unbekümmertes, schwelgerisches Dasein, ihr glückliches Berufs- und Familienleben zur Schau und bestätigen damit den Traum vom guten Leben. Gleichwohl unterstreicht die Regisseurin, dass die ideologischen Skripte für Hauptfiguren ebenso ‚Charaktermasken‘ hervorbringen, da schlechte Gedanken unterdrückt oder zensiert werden müssen. Aber für Paula rückt der Traum in die Ferne. Kurz vor Abschluss ihrer Ausbildung sendet ihr ‚Herzlesegerät‘, das ihre Monologe musikalisch stimmig untermalen soll, trötige Störtöne. Zu Recht: Die 16-Jährige wird nach und nach damit konfrontiert, dass sie doch nur ein Outtake ist. Linnenbaums mehrfach preisgekröntes Spielfilmdebüt nimmt nicht allein als erfrischendes Adoleszenzdrama für sich ein. Lustvoll erschafft die Regisseurin eine vielschichtige Welt, die über die Filmsprache souverän verfügt und voller Referenzen, voller Bilder des kulturellen Gedächtnisses ist. Dabei reflektiert Linnenbaum das eigene Medium, setzt sich differenziert mit Themen wie Identität, Macht, sozialer Ausgrenzung oder Zensur auseinander.

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