My Bullshit smells better

Werbung
Werbung
Werbung

Plötzlich kommen im Dokumentarfilm "Shut Up and Play the Piano" diverse Leute zum Casting: Chilly Gonzales, seines Zeichens Ikone der unabhängigen Musik, sucht Alter Egos, um sie später in seine Konzertperformance einzubauen, oder den schrillen Auftritt in der deutschen Bundespressekonferenz nachspielen zu lassen, als er sich 1999 zum Präsidentschaftskandidaten für den Berliner Underground erklärte.

Dem Haken schlagenden kreativen Output des Multitalents zu folgen, ansatzweise die zahlreichen Phasen, die etlichen Kollaborationen von dessen Karriere abzubilden, und das in einer stringenten Form, ist dem Deutschen Philipp Jedicke und seinem Film bereits als Verdienst anzurechnen -auch wenn er selbst nicht so Gonzo, wie der Spitzname des Künstlers, also im Sinne von Hunter S. Thompson sein kann. Stattdessen steht dann doch eher die Anerkennungsbezeugung z. B. eines Cornelius Meister, Chef des Radio-Symphonieorchesters Wien, dass viele, die ein Rachmaninow-Klavierkonzert spielen können, nicht das könnten, was Gonzales am Klavier kann.

Seine FM4-Radio-Session im Jahr 2011 ist ein österreichischer unter vielen möglichen Anknüpfungspunkten, die Jedicke der persönlichen Erinnerung bietet, wie um zu sagen: In irgendeiner Form ist er jedem, auch dir, einmal untergekommen. Vielleicht mit seinem lasziven Song "Let's Groove Again", dem Hit "Take Me to Broadway", den sich die Doku naheliegenderweise als Leitmotiv schnappt, oder vielleicht auch mit der Arbeit an den Reglern, als Produzent. Jedicke trägt Material zu den Anfängen in Kanada zusammen, zu den experimentell-punkigen Jahren gemeinsam mit der fast noch berühmteren Peaches, schaut nach Paris, wo die Periode der Rückbesinnung auf das Klavier stattfand, und zu neuen Zusammenarbeiten, etwa der dauerhaften mit Leslie Feist.

Gonzales' Antrieb herausgeschält

Alles, um daraus den Antrieb von Gonzales herauszuschälen, der mit bürgerlichem Namen Jason Beck heißt, und - Überraschung für manche -dessen älterer Bruder der Hollywood-Komponist Christophe Beck ist; noch eine Beziehung, die informiert und definiert. Auf Wunsch von Gonzales ohne persönliche Aufnahmen, übernimmt die Kunstfigur die Selbstschau - die provokant meint, Journalisten verdienten keine Realität, oder ihren Erfolg selbstironisch begründet: "My bullshit just smells better" - was keiner Übersetzung bedarf.

Weit dringt "Shut Up and Play the Piano" zu dieser energetischen Persönlichkeit vor. Das allzu fleißige Namedropping lässt sich insofern verschmerzen, nachdem ein Bindeglied des modernen Musikschaffens am Werk ist, und dessen Kraft im Film und dessen Machart zu spüren ist.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung