Nelly-und-Nadine. - © Polyfilm

„Nelly & Nadine“: Aus der Kiste

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Am Dachboden ausgegraben: Der schwedische Dokumentarfilm „Nelly & Nadine“ begibt sich auf die Spuren einer lesbischen Liebesbeziehung, die in einem Konzentrationslager begann.

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Am Dachboden ausgegraben: Der schwedische Dokumentarfilm „Nelly & Nadine“ begibt sich auf die Spuren einer lesbischen Liebesbeziehung, die in einem Konzentrationslager begann.

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Was für eine unglaubliche Geschichte, auf die der renommierte schwedische Dokumentarfilmer Magnus Gertten da gestoßen ist: 1944 lernen sich im KZ Ravensbrück zwei Frauen kennen und verlieben sich. Ihre lesbische Beziehung halten sie nach der Befreiung selbst der eigenen Familie gegenüber geheim. Die Rede ist von der belgischen Sängerin Nelly Mousset-Vos und Nadine Hwang, der Tochter eines chinesischen Diplomaten. Sie bilden die Protagonistinnen der Doku „Nelly & Nadine“, die eindringlich von den Schrecken des Holocaust, von alternativen Lebensentwürfen und den Mühen der Erinnerungsarbeit erzählt.

Der Film ist Teil eines Zyklus, den Gertten jenen KZ-Überlebenden, die 1945 in der schwedischen Stadt Malmö ankamen, gewidmet hat. Nadine Hwang ist eine der Überlebenden, anhand historischer Aufnahmen schauen wir in ihr ausdrucksstarkes Gesicht und fragen uns: An wen hat sie im Moment ihrer Befreiung wohl gedacht? Auf der Suche nach möglichen Antworten begibt sich „Nelly & Nadine“ auf den Dachboden eines nordfranzösischen Bauernhofs. Sylvie, die Enkelin von Nelly, gräbt alte Fotos und Super-8-Filme aus, die ihre Großmutter in einer verstaubten Kiste gehortet hat. Darunter befindet sich auch ein Tagebuch, in dem Nelly ihre Zeit im KZ dokumentiert. Die Einblicke in das Lagerleben werden per Voiceover eingesprochen: Sie sind erschütternd, literarisch avanciert, und man fragt sich, warum sie nicht schon längst publiziert wurden. Sylvie ist sichtlich bewegt – und verblüfft von der zarten Liebesgeschichte, die sich da anzubahnen beginnt. Beim Durchsehen alter Fotos tritt zutage, dass Nadine bereits in den 30ern einer lesbischen Kommune rund um die amerikanische Intellektuelle Natalie Clifford Barney angehörte, die einen literarischen Salon in Paris führte.

Als Cousinen getarnt

Konfrontiert mit Sylvies Ungläubigkeit, weist sie eine Bibliothekarin darauf hin: „Nichts ist wahr, bis es gesellschaftlich zum Ausdruck gebracht wird.“ Will heißen: Nelly und Nadine mussten ihre Liebe noch geheim halten. Auch nach der Befreiung, in ihrem gemeinsamen Leben in Venezuela, gaben sie sich als Cousinen aus.

Gerttens Film verbleibt stilistisch zwar in konventionellen Bahnen (kaum auszudenken, was ein Regisseur wie Alain Resnais mit diesem Stoff gemacht hätte!), trotzdem verfehlt der Appell, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, seine Wirkung nicht. Wer weiß, was für unglaubliche Geschichten noch auf unseren Dachböden verborgen liegen!

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