Rache rückwärts

Werbung
Werbung
Werbung

Gaspar Noés umstrittener Film "Irréversible" zeichnet ein meisterhaftes - und zugleich unerträgliches - Bild menschlicher Gewalt.

Der dritte Film Gaspar Noés gilt seit seiner Uraufführung in Cannes 2002 als "Skandalfilm". Gleich vorweg: Der Film zeigt im ersten Drittel zwei wegen ihrer extremen Brutalität fast unerträgliche Szenen. Wer sich so etwas nicht zumuten möchte, sollte sich "Irréversible" nicht ansehen. Ohne jeden Zweifel ist dieser Film aber ein cineastisches Meisterwerk, der "Skandal" umso schwerer nachzuvollziehen, als Gewalt hier weder spekulativ noch verharmlosend eingesetzt wird, sondern allein aus dramaturgischer Notwendigkeit.

"Irréversible" verkörpert sein eigenes Paradoxon, denn was unumkehrbar ist, der Fluss der Zeit, wird in umgekehrter Chronologie der Szenenfolge dargestellt. Gaspar Noé zeigt in 15 schnittlosen (!) Einstellungen die Geschehnisse eines Abends, der harmlos beginnt und in einer Katastrophe mündet, die das Leben sämtlicher Beteiligten völlig zerstört - wobei jede Einstellung an dem Punkt einsetzt, wo die folgende endet.

Das junge Paar Alex und Marcus, dargestellt von Monica Bellucci und ihrem Ehemann Vincent Cassel, besucht gemeinsam mit Alex' Exfreund Pierre (Albert Dupontel) eine Party. Da sich Marcus unter Drogeneinfluss zunehmend peinlich benimmt, macht sich Alex, die seit wenigen Stunden von ihrer Schwangerschaft weiß, allein auf den Heimweg. Ein fataler Fehler, denn sie wird brutal vergewaltigt und misshandelt; ob sie überleben wird, bleibt fraglich. Marcus stürzt sich, begleitet von Pierre, der ihn zu beschwichtigen versucht, noch in derselben Nacht in einen blinden Rachefeldzug. In einem schwulen SM-Club kommt es zu einer beispiellosen Gewaltorgie, in der Marcus bald selbst zum Opfer wird und Pierre zum Mörder an Alex' - vermeintlichem - Vergewaltiger.

Durch den narrativen Kunstgriff, diese Rape-and-Revenge-Story von hinten aufzurollen, erzielt Gaspar Noé zum einen beim Publikum den Effekt, dass jedes Verständnis für diese "Rache", die zu allem Überfluss den Falschen trifft, von vornherein fehlt. Gewalt rechtfertigt niemals Gewalt! Zum anderen ist der Film aber auch zutiefst pessimistisch. So behauptet Alex, dass alles, was passiert, schon geschehen sei: aus Sicht des Publikums ist dies ja auch tatsächlich der Fall. Bestürzt sehen wir, wie kleine, scheinbar belanglose Entscheidungen unausweichlich zur Katastrophe führen. Für Hoffnung ist da kein Platz. Ein ebenso desillusionierender wie brillanter Film.

IRRÉVERSIBLE

Frankreich 2002. Regie: Gaspar Noé.

Mit Monica Bellucci, Vincent Cassel,

Albert Dupontel, Jo Prestia, Philippe

Nahon, Stéphane Drouot, Mourad

Khima. Verleih: Cinestar. 99 Min.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung