Überschwenglich und ausschweifend ist die Begrüßung für die heimgekehrte Gutsbesitzerin Ljubow und ihre Tochter Anja; Bruder Leonid, Pflegetochter AVarja und vor allem Kaufmann Lo-pachin sind - nebst zahlreichem Gesinde - zum Empfang angetreten. Dringlich versucht Lopachin die Aufmerksamkeit auf den bevorstehenden Versteigerungstermin für das heruntergewirtschaftete Gut samt seinem berühmten Kirschgarten zu lenken -diese Gruppe von realitätsfremden Träumern, ichbesessenen Phantasten verweigert es. Ungeduldig sieht der Zuschauer das unweigerlich böse Ende nahen - aber weiterhin werden Liebschaften gesponnen, Lebensphilosophien deklamiert, Erinnerungen hervorgekramt. Endlich ist der Verkauf perfekt, Käufer ist der verachtete Emporkömmling Lopachin! Aber keine der Töchter wirft sich ihm an den Hals - glanzvoller Untergang, herrschaftliche Besignation sind angesagt. Daß man sie und ihre überschwappenden Emotionen höchst ärgerlich zur Kenntnis nimmt, ihre Irrationalität- und Entscheidungsunfähigkeit nur ungeduldig erträgt, sagt schon viel aus über die Atmosphäre, die Begisseur Peter Stein mit seinen hervorragenden Schauspielern herzustellen vermag: Jutta Lampe, Dörte Lyssewski, Dorothee Hartinger, Annette Paulmann, Peter Simonischek, Daniel Friedrich, Sven-Eric Bechtolf, Götz Schubert, Boland Schäfer sind alle wunderbar dezent und aufdringlich zugleich. Und wenn Branko Samarovski als alter Diener Firs mit den alten Möbelstücken und den Erinnerungen im Herrschaftshaus seinem Ende entgegendämmert, dann geht's für jeden ans Abschiednehmen.
