Von den Körpern und von den Seelen

Werbung
Werbung
Werbung

Hanna ist eine österreichische Transsexuelle in den Fünfzigern. Nach 20 Jahren Ehe und als kräftiger Mann hatte sie ihr Coming Out erst vor elf Jahren. Sie nennt ihre Brüste Gusti und Lilo und parliert über Philosophie und Brahms. Hanna ist eine der Protagonistinnen in Adina Pintilies Film -Essay "Touch Me Not", der auf der diesjährigen Berlinale den Goldenen Bären erhielt -eine kontrovers aufgenommene Auszeichung.

Es geht in diesem exzeptionellen Opus der rumänischen Regisseurin um Körperlichkeit und Sexualität, um Explizites in Bild -und vor allem: im Wort. Kei ne leichte Kost, aber eine, die es in sich hat, wenn man sich darauf einlässt.

Laura ist eine Mittfünfzigerin und fürchtet sich vor Berührung. Selbst einen Callboy, den sie engagiert, lässt sie nicht an sich heran. Dafür geben ihr die Gespräche mit der Transsexuellen Hanna so etwas wie Geborgenheit.

Tómas wiederum, der durch eine Krankheit seine Haare verloren hat, wird in einem Workshop gezeigt, wo Behinderte und Nichtbehinderte lernen, einander zu berühren. Tómas' "Partner" ist Christian, der an spinaler Muskelatrophie leidet; für Tómas (und vermutlich nicht nur für ihn) bedeutet es Überwindung, Christian in die Augen zu schauen und ihn anzugreifen. Dabei lebt Christian mit seiner Lebensgefährtin Grit lustvoll seine Sexualität aus. Laura geht Tómas nach und sucht, seine Berühungserfahrungen kennenzulernen und ihre Blockaden zu überwinden.

Zwischen Realität und Fiktion

"Touch Me Not" changiert zwischen Realität und Fiktion, der Film erzählt eine Geschichte und ist gleichzeitig Dokumentation. Schauspieler und Laien stellen diese Näherung an den menschlichen Körper dar. Laura wird von der anglofranzösischen Schauspielerin Laura Benson ("Gefährliche Liebschaften") gespielt, der Film-Tómas ist der isländische Mime Tómas Lemarquis ("Snowpiercer", "Blade Runner 2049"), während Hanna Hoffmann, Christian Bayerlein und Grit Uhlemann einfach sie selbst sind.

Auch Regisseurin Adina Pintilie wechselt von der Beobachterin hinter der Kamera in den Film hinein. Auch wenn das Ganze "Touch Me Not" heißt, geht es radikal um Berührung und ebenso radikal um Entblößung -buchstäblich wie im Seelischen.

Dass die Grenze zwischen Schein und Sein hier bewusst im Unklaren gelassen wird, ist eine der Großtaten dieser filmischen Auseinandersetzung. Auch wenn das Explizite nicht jedermanns Sache sein mag, schlummern in all dem auch religiöse Konnotationen. Das beginnt schon beim Titel: "Berühr mich nicht -Noli me tangere" ist bekanntlich die Anrede des Auferstandenen an Maria Magdalena im Johannesevangelium.

Tómas und Christian

Der haarlose Schauspieler und der Schwerbehinderte üben Berühren und Berührt-Werden.

Dass Adina Pintilies ,Touch Me Not' die Grenze zwischen Schein und Sein bewusst im Unklaren lässt, ist eine der Großtaten dieser filmischen Auseinandersetzung.

Touch Me Not RO/D/CZ/BG/F 2018. Regie: Adina Pintilie. Mit Laura Benson, Tómas Lemarquis, Christian Bayerlein. Polyfilm. 125 Min.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung