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Ein bisschen zu schön um als Lektüre zu beglücken: Andrew Sean Greers "Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli".

Es gibt Texte, die sind einfach perfekt - gefertigt nach allen Regeln der Kunst, makellos. Man liest sie und hat ein schlechtes Gewissen. Weil sie fehlerlos sind und man trotzdem etwas in ihnen vermisst.

Immer jünger

Eine unmenschliche Geschichte ist es, die Andrew Sean Greer erzählt. Sein Held, Max Tivoli, kommt "vom anderen Ende des Lebens" auf die Welt. Er wird 1871 in San Francisco als 70-jähriger Greis geboren. Sein Körper wird von Jahr zu Jahr jünger, sein Bewusstsein dagegen reift so wie das der anderen Menschen. Seine Großmutter begreift als erste bis zur letzten Konsequenz, welchen Verlauf sein Leben nehmen wird, und schenkt ihm einen goldenen Anhänger, in den sie die Zahl 1941 eingravieren lässt, das Jahr seines Todes im Körper eines Neugeborenen.

Vorabend des Erdbebens

Es ist Max Tivoli selbst, der sein Leben nun erzählt - als er 1930 zum Stift greift, sieht er bereits aus wie 12 und gilt als Waisenkind. Er schreibt für seinen Sohn und für die Frau, die er liebt, seit er sie das erste Mal gesehen hat. Für das Mädchen Alice hat er damals natürlich zu alt ausgesehen, doch er begegnet ihr wieder in seinem magischen Jahr 1906, dem einzigen, in dem seine innere und äußere Gestalt kongruent sind.

Der Abend, an dem Alice seine Liebe zu erwidern beginnt, ist der Vorabend des großen Erdbebens, das San Francisco am 18. April 1906 erschüttert. Eine symptomatische Verknüpfung - Greer, der selbst in San Francisco lebt, verwebt Max Tivolis Leben eng mit der Geschichte der Stadt. Sie und Max sind einander schließlich auch verwandt in der physischen Verjüngung in Permanenz. Elegant beiläufig baut Greer sein immenses alltagshistorisches Wissen in den Roman ein; ob in detaillierten Schilderungen der Kleidung seiner Protagonisten, der Wohnungseinrichtungen oder diverser Attraktionen der Stadt, wie dem Vergnügungspark Woodward's Gardens, in dem Max seinen Lebensfreund Hughie kennenlernt. Für Hughie bricht Max die Regel, auf die ihn seine Mutter eingeschworen hat - "Sei, wofür sie dich halten." - und teilt mit ihm das Geheimnis seines verkehrten Lebenslaufs. Hughie ist übrigens die große unerfüllte Liebe von Alice; niemand in diesem Roman wird von dem Menschen geliebt, den er selbst am liebsten hat. "Jeder von uns ist die Liebe im Leben eines anderen", heißt es dementsprechend schon zu Beginn.

Liebe und Zeit, beide sind imstande, sich gegenseitig außer Kraft zu setzen, und am Ende weiß man nicht, wer von beiden unbarmherziger ist.

Greer ist ein perfekter Roman gelungen, wunderbar komponiert, mit süffigen Sätzen voller origineller Metaphern und Beifügungen - da ist ein Hund "operettenhaft glücklich", dort ziehen sich Augenbrauen "in einer Privatfehde zusammen" - und mit kraftvoll formulierten Aussagen über das Leben im Allgemeinen: "Wir alle hassen, was aus uns wird."

Es macht fast unglücklich, damit trotz allem nicht ganz glücklich zu sein. Aber Schönheit entfaltet sich nun einmal paradoxerweise am besten in Kombination mit einem klitzekleinen Fehler oder knapp abseits einer ihr vorgeschriebenen Regel.

Die erstaunliche Geschichte

des Max Tivoli

Von Andrew Sean Greer

Aus dem Englischen von Uda Strätling

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2005

347 Seiten, geb., e 20,50

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