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Amerikanischer Protestantismus und Gegenwart

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Der Schwerzer evangelische Theologe Professor Adolf Keller, einer der besten Kenner der religiösen und kulturellen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten und sicherlich der intimste Kenner des amerikanischen Protestantismus, veröffentlichte vor kurzem in den „Basler Nachrichten“ einen Bericht über die „ W andlungen im amerikanischen Protestantismus“, der auch unser Interess- verdient. Der Verfasser kommt zu aufschlußreichen Feststellungen, die umso interessanter sind, als dem Protestantismus die geschlossene Einheit des amerikanischen Katholizismus gegenübersteht.

„Der amerikanische Charakter“, so schreibt Professor Keller, „ist weniger darauf bedacht, eine Statik des seelischen Gleichgewichtes unter allen Umständen zu wahren, sondern die lebendige Dynamik des amerikanischen Denkens und Schaffens im Flusse zu erhalten. Das bedeutet ein starkes Gefälle im öffentlichen Leben und eine Bereitschaft zu Wandlungen, die ebenso erstaunlich wie erschreckend ist.

Die amerikanische Kirchenwelt nimmt an diesen Wandlungen teil. Man könnte das so ausdrücken: du: Wahrheit i s t nicht — sie wird. Sie ist selbst in Bewegung. Daher ist alle' Wandlung von vornherein der lebendigen Beteiligung sicher. Daher ist das Land voll von allerlei Spannungen, die nur als dialektische Bewegung zu deuten sind. Selbst wer mit dem Leben Amerikas vertraut ist, stößt immer wieder auf seelische Explosionen, die Tausende treffen und zur Mitarbeit hinreißen.“

Messianistiscb.es Bewußtsein

„Wer heute von Küste zu Küste reist und mit dem inneren Leben des Volkes sich berührt, kann unschwer folgende Wandlungen beobachten: '

An der Ausweitung des amerikanischen Bewußtseins aus einem regionalen, provin-zialen, nationalen — zu einem Weltbewußtsein haben die Kirchen stärksten Anteil. Großkirchliche Leiter denken heute in Kontinenten. Das asiatisdie, das afrikanische Christentum bleibt ebenso in Sicht wie das europäische. Aber es ist amerikanische Sicht. Das heißt, das Detail muß sich in einen großen Rahmen einfijgen. Zu diesem gehört der amerikanische Messianismus. Das amerikanische Christentum glaubt heute, der Welt etwas Besonderes schuldig zu sein: amerikanische Hilfe, aktives Christentum, einen schöpferischen Mut zum Neubau der Welt. Der Amerikaner treibt nicht so sehr Propaganda als -Mission. Zwar wurde jüngst eine besondere Kulturabteilung unter Mister Benton geschaffen, die die Kenntnis 'des amerikanischen Kulturlebens überallhin Verbreiters soll. Aber als Geschenk, als Botschaft an die Welt, als Einladung zur Mitarbeit. Dieser kirchliche, amerikanische Messianis-

mus erschien Europa gelegentlich als gefährlich. Nach dem letzten Krieg wurde etwa sogar die Hilfe zu einer missionarischen Werbung. Das hat sich heute stark gewandelt. Der Ökumenismus sdieint im Begriff zu sein, den bisherigen Konfessionalismus zu überwinden — wenn nicht mit neuen Rückschlägen zu rechnen ist.“

Rockefellers Millionenspende

„Das ist deutlich im kirdilichen Hilfswerk. Die Lutheraner zum Beispiel ließen sich bisher nie so stark für allgemein protestantische Hilfe gewinnen, wie sie es heute tun, zum Teil sogar in der Missouri-Synode. Die Kongregationalisten, die bisher wenig Interesse am Kontinent hatten, sind nun in dieses Hilfswerk eingetreten. Die Methodistenkirche, die größte der amerikanischen evangelischen Kirchen, setzt zwar einen starken Teil ihrer Mittel für Hilfe an den engeren Glaubensgenossen ein, im ganzen etwa 25 Millionen Dollar, gewährt aber audi dem ökumenischen Hilfswerk einen ansehnlichen Anteil. Eben sprach ich mit einem pres-byterianischen Feldprediger, der bisher als Oberst im Hauptquartier tätig war und sich nun dafür einsetzt, für seine Kirche 27 Millionen Dollar für Hilfe und. Wiederaufbau zu sammeln.

Die amerikanischen Anglikaner, die sogenannten Protestants Episcopals, fühlen sieh, wie die britischen Anglikaner, zu s t ä r-kerer Hilfe für die orthodoxenv Kirchen verpflichtet als für die protestantischen, ohne diese auszuschließen. Das Hilfswerk tritt heute bewußter als kirdiliche Aufgabe auf als früher. Wohl arbeitet es mit allgemeinen Hilfswerken mit, auch mit der UNRRA, an der reichliche Kritik geübt worden war. Aber es sucht doch bewußt bestimmte kirchliche Aufbauaufgaben anzufassen und auch Laienkreise dafür zu gewinnen. John D. Rocke-f e 11 e r zum Beispiel, der sich eine Zeitlang mehr sozialer und hygienischer Hilfe zugewendet hatte, spendete kürzlich den freunden des ökumenischen Rates' eine Million Dollar für umgrenzte Zwecke religiöser und theologischer Erziehun g.“

Neue Europa-Müdigkeit

„Sowohl Europa als Ostasien zeigen heute dem missionseifrigen Amerika, daß sie sich nidit so einfach als Missionsfeld betrachten lassen. Die Reaktion Europas auf den amerikanischen Einsatz erregt eine gewisse Bestürzung. Man hatte sich die Hilfe, die Anpassung, die Verständigung, die Zusammenarbeit leichter vorgestellt. Die Kirchen sind he,ute der Teil Amerikas, der am deutlichsten an der Aufgabe festhält und sich einem sentimentalen Heimweh ebenso widersetzt wie einer neu auftauchenden Enr.opa - Müdigkeit mancher

poIitiscEer Kreise. Hier ist wohl ein zuverlässigeres Verantwortlichkeitsgefühl vorhanden als im Parlament und in der Presse. Aber auch dieses könnte unerwarteten Wandlungen unterliegen. Besonders wenn die Enttäuschung an .der europäischen Lösung der, Aufgab e noch weiter um sich greifen sollte. Diese Enttäuschung macht sich nicht nur dem ' russischen Bundesgenossen gegenüber recht ungeniert. Luft, sondern, auch gegenüber der Art und Weise,' wie die alliierte Verwaltung in ihrer unkoordinierten Befriedung vorgeht.“

Die Lage der protestantischen Theologie

Auf dem Gebiete der Theologie erwacht der amerikanisdie Protestantismus ru einem neuen Unabhängigkeitsbcwußtsein. „Man |laubt“, so sdireibt Prof. Keller, „daß die Zeit einer europäisdien Hegemonie in

der Theologie vorüber sei, auch wenn man zugibt, daß Barth, Brunner, Kraemer und hinter. ihnen Kierkegaard einen bedeutenden Einfluß ausüben. Der frühere Social-Gospcl-Enthusiasmus ist abgeflaut, ohne daß die sozialen Aufgaben übersehen werden. Man will aber nicht wieder einem himmelblauen Idealismus verfallen wie zur Zeit der Prohibition. Man begibt sich audi heute nicht in sdiwindelnde, theologische Höhen und freut sich, daß sogar Karl Barth von der Jenseittg-keit ins praktische Leben hinabgestiegen ist und sich nun ganz anders als früher positiv mit konkreten Aufgaben befaßt, die audi eine Mitarbeit anderer auf breiterer Grundlage erlauben. Die führenden Theologen'

Relnfiold NiebuÜr, Van Düsen, John Ben-nett, John Mackay, Paul Tillich, früher in . Frankfurt, Walter Horton, William Pauck haben alle ein Gefühl starker politisdier Verantwortlidikeit und sind zu Kritikern jenes früheren oberflächlichen Optimismus und Idealismus geworden, die dem „guten Menschen“ zuviel Möglichkeiten zutrauten. Walter Lippmann sagte mir kürzlich geradezu, daß dem modernen Amerikaner der Begriff derSünde abhandengekommen sei. Die junge amerikanische Theologie weiß wieder davon und protestiert gelegentlich gegen den noch spukenden P e 1 a-g i a n i s m u s und seine Überschätzung menschlicher Möglichkeiten.“

Diskussion über die Atombombe

Schließlidv kommt der Schweizer Beob-achter der Entwicklungen im amerikanischen

Protestantismus auf die weite Diskussion zu, spredien, die über die Atombombe eingesetzt hat. In der Atombombe „erseheint eine Verwirklichung der Verkündigung des Weltendes gegeben. Die Kirdie kann dieser Konzentration unheimlidier, unpersönlicher Kräfte nur die Konzentration höchster persönlicher Schöpfungskraft in der Person das Erlösers gegenüberstellen. Die Atombombe stellt daher auch der Welt ein theologisches Problem und fördert eine tiefere Besinnung auf nötige Wandlungen audi in der Stellung des amerikanischen Christen zu Christus und seinem Evangelium, das in allen menschlichen Verwandlungen immer wieder als die bleibende, rettende, göttliche Madit erod-teint.“

DE PROFUNDIS

Aus der Tiefe mf ich, Herr zu dir;

o Herr, erhör mein Rufen. Deine Ohren neige nieder

zu der Stimme meines Flehens.'

Wenn du der Fehler immerfort gedächtest, Herr, o Herr, wer könnte dann bestehen?

Jedoch Verzeihung aller Sünden ist bei dir, auf daß manlir in Ehrfurcht diene.

Drum hoff ich auf den Herrn;

es hofft ja meine Seele auf sein Wort. Nach dem Herrn hält Ausschau meine Seele

mehr als die Wächter nach -dem Morgenrot.

Mehr als die Wächter nach dem Morgenrot hält Ausschau nach dem Herrn mein Volk.

Denn Erbarmen ist beim Herrn

und überströmend ist bei ihm Erlösung.

Er selbst wird uns erlösen

von allen unseren Feinden.

Psalm 129 (130) nach dem nmjen römischen Psalter. Übersetzt von DDr. Claus Sehedi. (Erscheint bei Herder, Wien)

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