Arzt sein mit Grenzen

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Klaus Ratheisers Erfahrungen als Intensivmediziner.

Wer sich von diesem Buch Klischees ärztlicher Heldentaten und turbulenter Reanimationen erwartet, wird enttäuscht sein. Ein Intensivmediziner schreibt über seine Arbeit als Arzt in einer Intensivstation, über Grenzen, an die er stößt - dort, wo er Patienten an den Rand des Lebens begleitet, wo das Maß physischer und psychischer Belastungen unerträglich wird, wo der Mut bricht und die Sprache.

Obwohl immer auch Trauer die Begegnungen des Intensivmediziners färbt, ist das eigentlich Verblüffende an seinen Geschichten die Grundstimmung von Gelassenheit und Urvertrauen, die von Anfang an mitschwingt. Hier schreibt kein "Gott in Weiß" über spektakuläre medizinische Leistungen, sondern hier reflektiert ein Arzt und Begleiter sein "Arztsein mit Grenzen", seine kleinen Erfolge in oft ausweglosen Situationen, aber auch die Ohnmacht des Helfers, der trotz höchstmöglicher technischen Betreuung den Kampf um das Menschenleben verliert, darüber aber nicht resigniert und verzweifelt. In der Intensivstation des Krankenhauses treffen und begegnen einander fremde Menschen, fremde Kulturen, Religionen; Ängste vor dem Fremden vermischen sich mit Ängsten vor dem Ungewissen und dem Endgültigen.

Das Buch fesselt von der ersten Seite und ist doch immer authentisch und schlicht. Ratheiser erzählt von dem vierjährigen Mädchen Natalie, das mit ansehen muss, wie seine Mutter plötzlich beim Frühstück das Bewusstsein verliert, von der jungen Studentin aus Italien, die auf einer fröhlichen Europatour abrupt von der Diagnose Leukämie eingeholt wird, von Lucas, dem schwer kranken Marburger Mechanikerlehrling, den sein verzweifelter Vater gewaltsam heim nach Slowenien bringen will, aber auch von den vielen Menschen, die dem Arzt und Wegbegleiter unvergesslich geblieben sind.

Nicht ausgespart werden dabei aber auch die Zweifel und Selbstzweifel, die physischen und psychischen Grenzen des Arztes in einem Beruf, der einem "normalen" Arbeitsablauf so gar nicht entspricht. Woher nimmt ein Arzt die Kraft, wieder von vorne zu beginnen und das Ende des menschlichen Lebens eben als Teil des Lebens zu akzeptieren? Wie schon der sehr passende Titel vermittelt spitzt der Intensivmediziner Ratheiser die Dinge sehr scharf zu, beleuchtet auch Missstände im Krankenhausbereich, der vorwiegend durch Bürokratie und Überwälzung von Verantwortung geprägt ist und wo sehr oft kein Platz mehr für die Befindlichkeiten der Angehörigen und Betroffenen ist. Seine klare, präzise Sprache fokussiert sich immer auf das Wesentliche und schreibt nicht lange um den heißen Brei herum, ist aber weit davon entfernt, belehrend zu sein. Ein Buch, das man erst nach der letzten gelesenen Seite weglegen wird und das einem noch lange in Erinnerung bleibt.

Die Schärfe des Augenblicks

Ein Intensivmediziner erzählt von seinen Erfahrungen

Von Klaus Ratheiser. Seifert Verlag, Wien 2003. 224 Seiten, geb., e 21,10

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