Auf der Suche nach dem Himmel

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Katharina Fabers Romandebüt ist ausgezeichnet - im wahrsten Sinn des Wortes.

Der fulminante Debütroman der Schweizer Autorin (und ausgebildeten Ärztin) Katharina Faber, der heuer bei den 33. Rauriser Literaturtagen mit dem Hauptpreis für die "beste Prosa-Erstveröffentlichung in deutscher Sprache" ausgezeichnet wurde, besticht zunächst durch seine erzähltechnische Raffinesse und sprachliche Souveränität. Nach einem kurzen Verzeichnis der handelnden Personen, denen der Roman auch gewidmet ist, tritt die Autorin völlig zurück und lässt ihre Figuren selbst berichten bzw. miteinander in Dialog treten, wobei die einzelnen Repliken typografisch hervorgehoben und mit Sprecherangaben versehen sind, was die Lesefreundlichkeit sehr unterstützt.

Atemloser Dialog

Anfangs blättert man noch manchmal zum Personenverzeichnis zurück, das auch eine Kurzcharakteristik und die wichtigsten biografischen Fakten umfasst, doch bald schon ist man auch ohne die leitende Hand eines Erzählers in diesem atemlosen vielstimmigen Dialog bestens orientiert, denn Fabers sprachliches Differenzierungsvermögen verleiht auch Nebenfiguren ein unverwechselbares Profil.

Polyphones Erzählgefüge

Der Haupttext, ein Monolog der etwa 50-jährigen Darja Savary, wird laufend von Einwürfen der anderen Romanfiguren unterbrochen beziehungsweise kommentiert, wobei sämtliche Personen, Lebende wie Tote (und von denen gibt es eine ganze Menge!), allgegenwärtig und nicht an situative Bedingtheiten gebunden sind. Nicht verwunderlich, dass die Sichtweisen ein und desselben Ereignisses deutlich von einander abweichen, nur bleibt es "mangels" der Direktive eines Erzählers allein dem Leser überlassen, die unterschiedlichen Berichte zu interpretieren, und gerade aus der Differenz der Wahrnehmungen ergeben sich die ergiebigsten Rückschlüsse auf unausgesprochene, unbewusste oder unterdrückte Konflikte. Das auch motivisch hochpräzise Erzählgefüge und die konsequente Beibehaltung der gewählten Erzählhaltung verleihen dem Roman, der zunächst arm an äußerer Handlung ist, eine subtile Spannung, die von der ersten Seite weg bis zum rasanten Finale anhält.

Katharina Faber schreibt über "die beautiful loser, die dem Leben viel mehr Spiel und Schönheit abtrotzen als die lächelnden Hülsen der so genannten winner". Darja Savary, aus einer großbürgerlichen Familie stammende Inhaberin einer vor dem Bankrott stehenden Autogarage und -werkstätte in einer kleinen Stadt an der südwestfranzösischen Atlantikküste, verliert nicht zuletzt wegen ihres exzessiven Trinkens zusehends die Kontrolle über ihren Betrieb und ihr Leben. Da Zukunftsperspektiven fehlen, lebt sie nur noch von Augenblick zu Augenblick beziehungsweise in der Vergangenheit. Die Väter ihrer beiden Kinder sind seit Jahren tot, wobei Darja an deren Tod jeweils nicht unschuldig ist, und diese Toten - Darja spricht von "meinen Toten" - nehmen einen immer breiteren Raum in ihrem Leben ein.

Unmögliche Liebe

In dieser kritischen Lebensphase findet sie bei ihren alten Freunden, die zu sehr in eigene Probleme verstrickt sind, keinen wirklichen Halt und so gerät sie an den schweigsamen Alain, einen aus einem psychiatrischen Gefängnis entflohenen Mörder, der bei Darja Unterschlupf findet und mit dem sie zum Entsetzen ihrer Umwelt eine exzessive Liebesbeziehung beginnt, in der Sex und vor allem Essen die wesentlichen sinnlichen Komponente bilden.

Himmel suchen

Ein gutes Ende ist bei dieser Konstellation freilich nicht zu erwarten, dennoch werden hier zwei Verlorene zumindest für kurze Zeit einander zur Stütze; Darja bietet Alain, den sie nur als Dieb kennt und von dessen Mordtat sie nichts weiß, die Geborgenheit, die er braucht, um sich von den in der Haft erlittenen Demütigungen zu erholen, und er ist Darja nicht nur "Pasolinesker" jugendlicher Liebhaber, sondern er bekocht Darja, die ansonsten ausschließlich trinken würde, mit den Gerichten seiner Mutter, des einzigen Menschen, der Alain bisher wenigstens eine Ahnung von Liebe vermittelt hat.

Der - wie auch die Einbandgestaltung - auffällige Titel des Romans ist übrigens Arthur Rimbauds Gedicht "Adieu" aus "Une saison en enfer" ("Eine Zeit in der Hölle") entnommen, "weil dieser Himmel, den er suchte und sah, die Spiegelung, die Träumerei und die Flucht Teil der Geschichte von Darja und Alain sind", so Katharina Faber in einem Gespräch mit ihrem Verleger Ricco Bilger.

Tod und Flucht

Am Ende des Romans ist Darja dauerhaft in die Gesellschaft "ihrer Toten" aufgenommen und die Frage, ob sie dort, wo sie jetzt sind, eine Erinnerung hätten, für Darja beantwortet. Für Alain aber geht die Flucht weiter: "[...] es scheint mir hier alles eine Spur heller, vielleicht nur, weil ich jetzt frei bin, ich singe während des Fahrens, the sky will miss your eye - ich übersetzte das jetzt noch einmal für dich, es heisst so ungefähr, der Himmel bewacht dir das Auge."

Manchmal sehe ich am Himmel einen endlos weiten Strand

Von Katharina Faber, Bilgerverlag, Zürich 2002, 303 Seiten, geb., e 25,90

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