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Jede Seite eine Zigarette

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Was kann ein Ich-Erzähler überhaupt leisten? Kann er denn ein Geschehen authentisch wiedergeben, ohne dauernd alles mitzuschreiben? Diese Fragen liegen dem Debütroman „Livia oder Die Reise” des anerkannten Lyrikers Michael Donhauser zugrunde. Die Betonung liegt dabei auf dem „oder”. Dieses Wort kann verbinden oder trennen, Gleichzeitigkeit signalisieren oder Möglichkeiten aufzählen und - es ist das Prinzip von Donhau-sers poetischem Kalkül. Erzählt wird von der Reise nach Frankreich eines Mannes mit Livia, einer jungen Frau. Sie läßt an Joyce denken, und das ist möglich. Denn daß sich dabei auch so etwas wie eine Liebesgeschichte ent: wickelt erscheint zwar selbstverständ -lieh, ist aber nicht das wichtigste. Im Mittelpunkt steht nämlich das Erzählen. „Vielleicht haben wir über unsere Fahrt geredet, ... oder es ist wieder still geworden”, „Livia hat sich eine Zigarette angezündet, und ich habe mir Wein nachgeschenkt, oder die Wirtin hat die Hauptspeise gebracht”. Erst das „oder” schafft ihm den Freiraum, authentisch und glaubwürdig seine Geschichte zu erzählen. Damit wird es erst möglich, daß er mit der Genauigkeit eines pedantischen Buchhalters Protokoll über seine Reise mit Livia führen kann. Wiederholungen gehören dazu, sind fast schon so etwas wie ein poetisches Gesetz. Zwischen den beiden entwickeln sich Rituale, und das klingt dann so: „ob ich mir eine Zigarette nehmen könne, habe ich Livia gefragt, und Livia hat mir dann Feuer gegeben”. Was die beiden verbindet sind Livias Zigaretten. Solange sie rauchen, und das tun sie fast auf jeder Seite, bleiben sie zusammen. Obwohl Donhausers Sprache durch sein dauerndes In Frage-Stellen der Vorgänge manchem Rezi-pienten vielleicht etwas sperrig anmuten mag, gelingt es ihm, seine Leser zu halten. Man gewöhnt sich an die regelmäßigen Wiederholungen, kommen sie einmal nicht vor, ist man verwundert. Und das ist auch die Stärke dieses Romans, der irritiert, fasziniert und sein Prinzip auf fast dreihundert Seiten durchzieht.

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