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Der Philosoph des Corpus mysticum

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So liegt denn nun Josef Nadlers abschließende Hamann-Monographie vor. Nachdem erst vor kurzem der erste Band von Hamanns Werken bei Herder erschienen ist (vgl. „Furche“ Nr. 52/1949), ergänzt die Biographie diese nach mehr als einer Richtungi zunächst nach der Seite des Lebens. Der Verfasser hat die Geschichte dieses seltsamen Lebens hier zum erstenmal aus sämtlichen Quellen, aus denen es strömte, geschöpft. Von der Schwierigkeit, diese Quellen zu nutzen, macht sich der Leser von Ausgabe und Biographie keine Vorstellung. Schon die Entzifferung von Hamanns Handschrift erfordert Erfahrung und Routine des Meisters. Aber Hamanns und seiner Zeitgenossen Welt, den ganzen großen Umkreis von Hamanns persönlichen und geistigen Bezügen auszuschreiten, das konnte nur von jemandem zustande gebracht werden, der sich, wie Nadler, zwed Jahrzehnte lang mit dieser schwierigen Materie beschäftigt.

Hamanns Wirkung auf seine Zeitgenossen war groß. Diese erst jetzt voll' und ganz, nach allen Kanälen, allen Seitenarmen, allen Höhen und Tiefen aufgezeigt, sie überhaupt erst dargestellt zu haben, ist das Verdienst des Autors. Was wußte man denn bisher vom Magus? Das bisherige Hamann-Bild hatte weder die Kenntnis des Gesamtwerkes zur Voraussetzung, noch die des Lebens, in dem die persönlichen Bezüge zum Verständnis des Werkes wesentlich sind. Nadlers Buch schildert in seiner Menschen so sicher treffenden Sprache Hamanns Leben bis auf Tag und Stunde. Man ist nun in der Lage, unmittelbarer Zuschauer seines Schicksals zu sein. Aus dem Leben im wahrsten Sinne des Wortes, aus den jeweiligen Anlässen (darin war Hamann Journalist) läßt der Autor das Werk Hamanns erstehen, das er, mit der treffsicheren Scheidekunst der Meisterschaft, ausgehend von des Tages Bedürfnis, hinunterbegleitet zu den tiefsten Brunnen der Geschichte.

Da ist zunächst in diesem Opus, niedergeschrieben in einer absichtlich verklausulierenden, bilderwütigen Sprache von Rabelaisscher, jedes Sprachgefäß sprengender Ausdrucksfülle und -breite, der Krongedanke Hamanns, der ihn zum Philosophen des Corpus, mysticum macht, in dem die Beziehung von Schöpfer zu Geschöpf als mystisches Abbild der Beziehung von Haupt zu Gliedern erscheint. Seine Schöpfung ist die Philosophie des Corpus mysticum, in dem alles göttlich zugleich und menschlich ist. Das war im tiefsten Sinn die berichtigte und ausgereifte Philosophie des Humanismus, weil in ihr, recht verstanden, der Mensch das Maß aller Dinge ist und das Geheimnis des Menschen, das Geschlecht, zugleich das „Wortbild der schöpferischen Trinität und der geschöpflichen Trias“. Diese Philosophie des Corpus mysticum baut Nadler auf dem Hintergrund der hellenisch-christlichen Koine von Sokrates über Philo von Alexandrien und Gnosis bis zu den Kirchenvätern aufi eine Linie, die später Meister Eckart — Cues — Böhme — Hamann — Hegel heißt. Hamanns Schriften sind eine neue, durch Luthertum, französische und englische Aufklärung hindurchgegangene Botschaft de Logos, dessen Umwandlung in menschliche Sprache eines der Urprobleme Hamanns darstellt, dessen Abstieg über den Dreitakt Geno-sis — Agnosia — Parusia, dessen Rückkehr aber Parusia — Coincidentia oppositorum — Apotheose heißt. Das weiß Nadlers Buch, wiederholt auf dieses Problem zurückkehrend, deutlich zu zeigen. Es macht den Vorteil dieser Darstellung aus, daß das höchst unsystematische System Hamanns an Hand der Werke immer wieder zur Sprache kommt, so daß sich der Leser, in diesen Urwald des Denkens vom Autor geführt, von Seite zu Seite fortschreitend, stets besser belehrt sieht. Es bildet mit einen Vorteil dieses Buches, daß es, über die Erläuterungen der einzelnen Schriften Hamanns hinausgehend, in der „Heerschau der Gedanken“ (S. 433—445) einen Cento aus den bedeutendsten Stellen aller Hamannschen Schriften zusammenfügt: eine Anthologie aus Hamann! Ein besonders heikler Punkt in Nadlers Hamann-Auffassung ist die Frage der Stellung Hamanns zur Gnosis, die dieser selbst bekämpft hat. Fast ist er ein Gnostiker malgre lui, wenn wir Nadlers Darlegungen folgen. Die durchsichtige Scheidewand in Hamanns Stellung zwischen dem Logos-Evangelium und dem Logos-Philosophen Philo einerseits und dem gnostischen Logos spermatikos andererseits wird in Nadlers Belichtung transparent.

„Hamanns Werke und Hamanns Leben sind das eigentliche Geschäft gewesen, dem der Verfasser in diesen zwei letzten Jahrzehnten gelebt hat.“ Aus diesem Bekenntnis des Schlußwortes geht wohl klar hervor, welche Bedeutung der Autor seiner Hamann-Arbeit im Rahmen seines Lebenswerkes selbst zugesteht. Wenn wir uns darin dem Autor anschließen, so geschieht dies aus der Überzeugung, daß das vorliegende Buch den Anfang nicht nur einer neuen, umfassenderen und einsichtigeren.Beschäftigung mit Hamann bilden wird, sondern auch, daß nunmehr der Zeitpunkt gekommen ist, an dem die gesamten Nachfolger Hamanns — allen voran Hegel und die idealistische Philosophie, auf die durch Nadler bedeutendes Licht im Zusammenhang mit Hamann fällt — an der vorliegenden Darstellung geprüft werden müssen. Weit über Klassik und Romantik hinausgehend, erstreckt sicfi die Wirkung des „Magus in Norden“ bis herauf zur Pneumato-logie Ferdinand Ebners, dessen heute viel zitiertes Buch „Das Wort und die geistigen Realitäten“ sich wiederholt auf Hamann beruft.

Das Buch ist durch die Wiedergabe sämtlicher vorhandener Hamann-Bilder und einen alten Plan von Hamanns Geburtsstadt Königsberg geschmückt. Kolumnentitel, ein Namen-und Sachregister, Quellennachweise (der Dank alleT Wissenschaftler sei dafür ausgesprochen) und ein besonders ausführliches Inhaltsverzeichnis schließen das Buch aller weiteren wissenschaftlichen Benützung gut auf. Die elegante Aufmachung sowie der Druck auf dünnem Papier seien lobend hervorgehoben.

Dr. Robert Mühl her

Herbstgesang. Gedichte. Von Josef Marschall. Vier-Falken-Verlag, Düsseldorf.

Der Chor der um die Jahrhundertwende geborenen österreichischen Lyriker jener neu-sachlichen, naturfrommen Richtung, wie sie für diesmal zum Zweck der Verdeutlichung durch Namen wie Kramer und Zernatto, Deißinger und Sachs gekennzeichnet sei, fügt sich nunmehr eine neue, bisher unvernom-mene Stimme gültig ein als ein erst spät, im Herbst, zum Gesang Berufener: Josef Marschall, der bisher vor allem mit Musikerromanen hervorgetreten war und mit dem Roman „Der Fremde“, der im burgenländisehen Weingebiet beheimatet ist. So vermag Marschall jetzt ein reiches, reifes, rundes Ge-dichtwerk vorzulegen, in dem zwar das Ich nur kleingeschrieben vorkommt, dafür aber Wiener Vorstadt, Niederösterreich und das Burgenland weben und leben, deren Atmo-' Sphäre und Gestalt: die Landschaft, die Menschen, die Gegenwart, die Geschichte, Mythos und Schicksal, die Kraft der Bilder und Urbilder und Duft und Saft der Volkssprache: Früchte, wie sie nur im Herbst reifen, .wie nur Körper wahr“ und doch bedingt, geformt, geprägt vom Geist. Was in diesem Buch einmal an Haydn gerühmt wird: „Mag andrer Muse sich mit falschem Seufzer spreizen — die seine ist vom Land, gesund wie Wein und Weizen“, gilt vom Dichter selbst. Und so wird dieses Buch denn auch ein langes Leben haben, das „Weinleselied“ und „Der Himmel auf Erden“, „Die Ausneh-merin“ und „Einem toten Knecht“, .Den Blumen der Kindheit“, „Dem (Neusiedler) See“ und „Im April“, sein „Rom in der Landschaft Haydns“ und die „Adventserenade“, aber auch die „Hymne in Schwarz“, „Der Besuch“, „Das Leben“, „Mistra“, „Dort um den Holunder“ und „O sei dein Gast“ (als reine Gesänge) und viele noch. Dem gebildeten Leser wird überdies die gelungene Urständ antiker Motive Freude bereiten und die aus dem Geist barocker Musik und Plastik geborenen Nachdenklichkeiten; denn möge das Gedichtbuch Josef Marschalls auch, mit Recht, als noch so dingnah, sinnenfroh und naturgläubig beurteilt werden, es wäre trotzdem verkannt, würde man seine Transparenz und seine Transzendenz übersehen. In das Herz dieses Dichters ist nicht nur die Welt, sondern auch, wie „Das Gesetz“ und „Die Traube des Engels“ herrlich beweisen, die Uberwelt eingegangen. — Dem Verlag sei für seinen Mut gedankt. Dr. Friedrich S a c h e r

Spießer und Spielmann. Roman. Von F. K. Franchy. Gallus-Verlag, Wien. 723 Seiten.

Die Kontrastierung des Spießers mit dem Künstler scheint wohl ein Thema zu sein, das 1 einen gewissen Anreiz auf einen Gestalter auszuüben vermag. Allerdings erfordert die Bewältigung dieser Aufgabe erprobte Meisterschaft des Wortes, der Konzeption und der Komposition, handelt es sich doch dabei nur um eine neue Variante der uralten Problematik Leben und Kunst, deren Gestaltung das ganze Können eines Goethe, Grillparzer oder Thomas Mann erforderte. Das bloße Nebeneinanderstellen von Problemen ergibt freilich noch keine Problematik. Beschreiben heißt nicht charakterisieren, und ohne Transzendenz läßt sich ein solches Thema überhaupt nicht befriedigend behandeln, auch nicht mit 723 Seiten! So kann denn die geistige Leere und Öde gewissenlosen Strebertums und seiner Katastrophe nicht aufgewogen werden durch pseudo-romantische Ruinenphantastik und „ewige Wiederkehr“ („Die Natur gibt nicht nach“). Leider sind auch einige absolut überflüssige Geschmacklosigkeiten inhaltlich (etwa die witzig ein sollenden Paraphrasen über die Heilige Familie) und sprachlich zu buchen. Ob das mitunter gut gezeichnete Kleinstadlmilieu für das Thema immer den passenden Rahmen abgibt, bleibt dahingestellt. Eine durchgreifende Kürzung zugunsten einer stärkeren Konzentration wäre gewiß für die Gesamtwirkung des Romans nicht unvorteilhaft — denn so müssen wir die Frage stellen: „Muß so viel geschrieben werden?“ Dr. Wilhelm S k a r e k, Linz

Mich wundert, daß ich so fröhlich bin. Von

Johannes Mario S i m m e 1. Paul-Zsolnay-Ver-lag, Wien. 398 Seiten.

Ein beachtens- und lesenswerter Versuch des jungen Wiener Autors, aus einer Episode in einem Wiener Luftschutzkeller im März 1945 ein Zeit- und Situationsgemälde zu gestalten. Ansätze zu jenem Zeitroman, auf den wir warten. Kaum ein Problem dieser Zeit, das hier nicht angetönt wird: junge und alte Generation, der Parteimensch und das ewige Recht; Friede und Krieg, innerer Zwiespalt und Geschlechtigkeit einer in den Krieg geworfenen Jugend; das Soziale und Gesellschaftliche; die Mentalität der Menschen von gestern und vorgestern; nicht zuletzt die Frage nach Gott — in der Bombennacht. Der Autor packt die Dinge, seine Figuren, ihre Fragen und Sorgen resolut an und scheut nicht vor vorletzten und letzten Antworten zurück. Ein Erzählertalent. Eine anständige Gesinnung, die wesentliche Elemente jener Situation von 1945, im Schatten Hitlers, festhält, die damals viele Gegner von ehedem zusammenbrachte: eine echte Aufgeschlossenheit sowohl dem Sozialen wie auch dem Christlichen gegenüber. Allein schon die Fixierung dieser Stimmung der Offenheit verdient Aufmerksamkeit und Anerkennung im Österreich von 1950, in dem sich die Menschen bereits wieder allenthalben als Partisanen ihrer Sonderinteressen und Ideologien in Ghettostellungen eingehaust haben. — Ein Verdienst also des Verlages, diesen Roman herausgebracht zu haben! — Einige Schattenseiten sind zu vermerken: der Einschlag von Literatur (papierene Redensarten . . .), Kolportage ist bisweilen aufdringlich stark und schadet der guten Sache. Wien 1945: für uns zumindest sollte es nicht Anlaß zu einem Reißer sein. Mehr Distanz also zu Hollywood!

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