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Der Vergil der Provence

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Ein halbes Jahr nach seinem 75. Geburtstag ist der französische Romancier Jean Giono in Manosque, seinem Geburts- und lebenslangen Aufenthaltsort in der Nähe von Aix-en-Provence gestorben. Im deutschsprachigen Raum war er seit den dreißiger Jahren bekannt, als die Trüogie „Der Berg der Stummen“, „Der Hügel“ und „Ernte“ bei S. Fischer erschienen und mit Lob von Kritik und Publikum überhäuft wurden. Diese ersten provenzali-schen „romans champetres“ schienen, wenn man unbedingt wollte, der volkerhaltenden Blut- und Bodenliteratur zugerechnet werden zu können. Nach dem Krieg ließ sich das solcherart deformierte Giono-Image leicht korrigieren, die Verlage taten das ihre, indem sie Gionos Bücher und seine Gemeinde charakterisierten als „Frauen und Männer, die das urwüchsige, drastisch-lebensnahe Element guter Bauernromane (nicht Blut- und Boden!) heben. Alle, die zur Abwechslung etwas Kräftiges in der Literatur brauchen.“ In Frankreich wollte man dem pazifistischen Autor seine Erfolge in Hitler-Deutschland nicht ungestraft hingehen lassen. Seine Schrift „Refus d'obeissance“ (Gehorsamsverweigerung) hatte ihm im Mobilisierungsjahr 1939 die erste Festungshaft eingetragen; zu einer zweiten wurde er 1944 verurteilt, als man ihm zwar nicht Kollaboration, wohl aber ,,Vichyismus“ vorwarf. Der ehemalige Bankangestellte aus Manosque, Sohn eines Pie-monteser Schuhmachers und einer Pariser Plätterin — also nichtbäuerlicher Herkunft —, dem die ewigen Landschaften der Bibel und der Oyssee die Augen für die ihnen ebenbürtige Provence-Landschaft öffneten, hatte seine ganze Begabung an die Erkundung und Darstellung südfranzösischen Volkstums, an die Fortsetzung der jahrtausendealten provenzalischen Tradition des Geschichtenerzählers verwandt. Manosque, von ihm berühmt gemacht, blieb in fast allen Werken der Ort der Handlung; die Landschaften der Basses-Alpen, die Plateaus der Haute-Provence, bevölkerte er mit Bauern- und Hirtengestallten, „Typen“, wie man in

Frankreich sagt, die, gefangen in ihrer uralten Mythologie und im Mißtrauen gegenüber den großen Städten und dtr industriellen Zivilisation, maßlos ihr „einfaches Leben“ leben. Naturburschen alle, wie Giono selbst einer sein wollte.

Den Schritt der Identifikation vollzog er allerdings nicht. Fabel, Handlung und Personen waren so oft wegen ihrer Verhaftung im Unwahrscheinlichen weniger überzeugend als die Art des Erzählens, die meisterhafte, nonchalant anmutende, doch kunstvoll komponierte Disposition, der konsequente Bau, die „geschliffene Eleganz“ seiner Romane. Und mochte auch die rauschhafte Verklärung der Urnatur der frühen Romane abgeklungen sein und Giono schon lange kein Träumer oder „Beschwörer des Pan“ mehr genannt werden können, blieb er doch der volks- und bodennahe „paysagiate“. Zum Abschied hatte er mit dem Roman „L'Iris de Suse“, Geschichte eines Räubers und einer Schloßherrin, sein wohl schwächstes Werk verfaßt, nicht“ vergleichbar mit dem vor zwei Jahren als einem „echten Giono“ begrüßten Roman „Ennemonde“. Jean Giono zählte mit Maurice Genevoix, Henri Bosco und Henri Pourrat zu den bedeutendsten französischen Regionalisten, zu den wichtigsten Rpräsentanten einer ländliches Leben kulthaft verherrlichenden „litterature rustique“. „Regain“ (1937), „Unde Baumugnes“ (1934) und das Märchenspiel „La femme du boulanger“ (1933) wurden von Marcel Pagnol verfilmt. Für die Bühne geschrieben war auch „La caleche“, in dem zum erstenmal keine rauhen Bergbauern, sondern geistsprühende Kavaliere aus dem Italien Stendhals und Byrons auftauchten, dem gleichen Italien, in dem ,,Le hussard sur le toit“ beheimatet war. Gionos Tod hat die französische literarische Welt tief getroffen. Dem „provenzaliischen VergM“, wie Andre Gide ihn genannt hatte, entsprach das Attribut „Mensch“ weit mehr als „homme de lettres“. Seit 1954 gehörte er der Academie Goncourt an.

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