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Digital In Arbeit

Der Veteran

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Dies ist die Geschichte unseres ältesten Arbeiters, der mit 52 Dienstjahren auf der Tabelle unserer Getreuen gleich hinter Dr. Funder steht: des Arbeiters Johann Kreuzer. Es ist eine stille Geschichte, und sie entbehrt aller erregenden Höhepunkte, die man von einer Geschichte unserer Tage füglich verlangen könnte.

Die Geschichte beginnt in dem westböhmischen Dorf Schönbrunn, Bezirk T a c h a u bei M a r i e n b a d, in einer Bauernfamilie mit sieben Kindern. Eigentlich beginnt sie erst in Tachau, wo der junge Johann Kreuzer nach acht Schuljahren in einer Druckerei in die Lehre tritt. Das war eine harte Zeit damals, denn es gab noch nicht jene Benefizien, die dem Lehrling von heute den Eintritt ins Berufsleben erleichtern. Gearbeitet wurde von 6 Uhr bis 23 Uhr, und die Krone der Arbeitswoche war — allerdings erst im fünften (letzten) Lehrjahr — 1 Krone ö. W., nicht zu vergessen Kost und Quartier, wenn das trübselige Hausen auf dem Dachboden noch als Quartier anzusehen war. Aber alles hat einmal ein End’

Und hier beginnt die Geschichte noch einmal und hier erst so recht eigentlich. Denn am 2t. April 1902 tritt Johann Kreuzer, nachdem er am 1. März frei geworden ist, als 20jähriger Handsetzer (Tagesarbeit) bei Direktor Julius Lichtner in die ,,Reichspost“-Druckerei, Strozzi- gasse 41, ein. Nun hat der „Kreuzer“ schon 22 Kronen in der Woche, nach einem Jahr sogar 28 Kronen 44 Heller. Das ist viel und wenig zugleich. Immerhin trägt es schon ein richtiges Mittagessen im Gasthaus in der Fuhrmanngasse: Suppe, Fleisch, Gemüse, Bier, zusammen 3 3 Kreuzer. 1907 lernt Kreuzer die Nachtarbeit bei der nun als Morgenblatt erscheinenden „Reichspost“ kennen — und wird ihr bis heute treu bleiben. Jetzt ist es auch so weit, daß er, am 12. Mai 1907, eine Frau heimführen kann, die 40 Jahre lang, bis zu ihrem Tod im Jahre 1947, getreulich alle Sorgen und Freuden mit ihm teilen wird. 1913 wird Kreuzer, schon im neuen Hause Strozzigasse 8, an der Setzmaschine angelernt.

Wie in Millionen Lehen und Schicksale schlägt auch in dieses stille Leben der Krieg mit roher Hand. Am 15. Februar 1915 rückt Kreuzer zu den 73ern nach Eger ein. Schon am 14. Mai des Jahres „erwischt“ es ihn bei Gorlice, der denkwürdigen österreichisch-deutschen Durchbruchsschlacht in Galizien, die den Anstoß zur Befreiung von Przemysl und Lemberg gab und die russische Front auf die Linie Bug—Zlota-Lipa— Dnjestr zurückdrückte: Johann Kreuzer erhielt einen bösen Handdurchschuß, der ihn für die restlichen Kriegsjahre frontuntauglich machte. Unter Schwierigkeiten gelang es ihm, wenigstens in seinem Berufe als Hand- und Maschinensetzer beim Militärkommando Krakau zu arbeiten. Und im November 1918 ist es endlich so weit, daß er in die Strozzigasse heimkommen kann.

Der zweite Weltkrieg führt ihn nicht mehr an die Front, aber, von 1939 bis 1945, von der Strozzigasse weg, auf Kommando in einen anderen Druckereibetrieb. Aber im Frühjahr 1945 ist er, nunmehr endgültig, daheim in der Strozzigasse.

Bis heute. Als Siebziger von 16.30 Uhr bis 23.30 Uhr täglich an der Setzmaschine — noch daiu Nr. 13! Er nimmt es an Fleiß und Ausdauer mit jedem Jungen auf und liest noch ohne Augenglas: obwohl am Silvestertag dieses

Jahres schon 73 Jahre alt!

So schließt diese Geschichte einer 52jährigen Treue und Anhänglichkeit so still, wie sie begann und fortspann, ohne Pointe und Ueber- raschung, ohne „Falken“, wie die Geschichtenschreiber sagen.

Wer sie liest, wird freilich darin einen tiefen, beruhigenden Sinn und Wert entdecken.

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