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Gesproch mit einem Ofen

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Er stellte sich mir vor: dick, breit, das große Maul voll Feuer.

„Ich heiße Franklin“, sagte er.

„Bist du Benjamin Franklin?“ fragte ich.

„Nein, nur Franklin. Oder Francolino. Ich bin ein italienischer Ofen, eine vorzügliche Erfindung. Ich wärme zwar nicht besonders.“

„Ja“, sagte ich, „das ist mir bekannt. Alle Öfen mit schönen Namen sind vorzügliche Erfindungen, heizen aber mäßig. Ich liebe sie sehr, sie verdienen Bewunderung. Aber sage, Franklin, wie kommt das, daß ein italienischer Ofen einen amerikanischen Namen hat? Ist das nicht sonderbar?“

„Sonderbar? Nein, das ist eines der geheimen Gesetze, weißt du. Ein geheimes Gesetz der Beziehungen und Ergänzungen, die Natur ist ja so voll von solchen Gesetzen. Die feigen Völker haben Volkslieder, in denen der Mut verherrlicht wird. Die lieblosen Völker haben Theaterstücke, in denen die Liebe verherrlicht wird. So ist es auch mit uns, mit uns Öfen. Ein italienischer Ofen heißt meistens amerikanisch, so wie ein deutscher Ofen meistens griechisch heiße. Sie sind deutsch, und, glaube mir, sie wärmen um nichts besser als ich, aber sie heißen Heureka oder Phönix oder Hektors Abschied. Es weckt große Erinnerungen. So heiße auch ich Franklin. Ich bin ein Ofen, aber ich könnte,' nach manchen Kennzeichen, ebensogut ein Staatsmann sein. Ich habe einen großen Mund, verbrauche viel, wärme wenig, speie Rauch durch ein Rohr, trage einen guten Namen und wecke große Erinnerungen. So ist das mit mir.“

„Gewiß“, sagte ich, „ich habe die größte Achtung vor Ihnen. Da Sie ein italienischer Ofen sind, kann man gewiß auch Kastanien in Ihnen braten?“

„Man kann es gewiß. Es ist ein Zeitvertreib. Viele lieben das. Manche machen auch Verse oder spielen Schach. Gewiß kann man auch Kastanien in mir braten,warum nicht? Sie verbrennen zwar, aber der Zeitvertreib ist da. Die Menschen lieben den Zeitvertreib und ich bin Menschenwerk. Wir tun eben unsere Pficht, wir Denkmäler, nicht mehr, nicht weniger.“

„Warten Sie! ,Denkmäler!' — sagen Sie? Betrachten sie sich als ein Denkmal?“

„Aber ja. Wir alle sind Denkmäler. Wir Erzeugnisse der Industrie sind alle Denkmäler einer menschlichen Eigenschaft oder Tugend, einer Eigenschaft, welche in der Natur selten ist und in höherer Ausbildung sich nur beim Menschen findet.“

„Welche Eigenschaft ist das, bitte?“

„Der Sinn für das Unzweckmäßige. Ich bin, neben vielem anderem, ein Denkmal dieses Sinnes. Ich heiße Franklin, ich bin ein Ofen, ich habe einen großen Mund, der das Holz frißt, und ein großes Rohr, durch welches die Wärme den raschesten Weg ins Freie findet. Ich habe auch Ornamente, und ich habe zwei Klappen, die man öffnen und schließen kann. Audi dies ist ein hübscher Zeitvertreib. Man kann damit spielen, wie mit einer Flöte.“

„Sie entzücken mich, Franklin. Sie sind der klügste Ofen, den ich je gesehen habe. Aber wie ist das nun: sind Sie nun eigentlich ein Ofen oder ein Denkmal?“

„Wieviel Sie fragen! Ist es Ihnen nicht bekannt, daß der Mensch das einzige Wesen ist, das den Dingen einen ,Sinn' beilegt? Für die ganze Natur ist die Eiche eine Eiche, der Wind ein Wind, das Feuer ein Feuer. Für den Menschen aber ist alles anders, ist alles sinnvoll, alles beziehungsvoll! Alles wird ihm heilig, alles Symbol. Ein Totschlag ist eine Heldentat, eine Seuche ist Gottes Finger, ein Krieg ist Evolution. Wie sollte da ein Ofen nur ein Ofen sein können?! Nein, auch er ist Symbol, er ist Denkmal, er ist Verkünder. Darum liebt man ihn, darum zollt man ihm Aditung. Darum hat er Ornamente und Klappen. Darum sieht er in dem bißchen Heizen nicht seine einzige Bestimmung. Darum heißt er Franklin.“

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