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Haberls Herbstbilanz

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Auf den „elektrischen Stuhl” vor seinem Büro mag er sich nicht setzen: „ Zu unbequem!”. Neben seinem Schreibtisch signalisiert ein Boxhandschuh: Das Spiel ist aus. „Die Kunst ist aus, das Spiel geht weiter” -so lautet das Motto des heurigen „stei-rischen herbstes”. Für dessen Intendanten Horst Gerhard Haberl gilt der Untertitel: „Das Spiel ist aus, die Kunst geht weiter.” Nach fünf Spieljahren ist der Spielleiter müde.

Die Spielverderber haben die Oberhand gewonnen: Einerseits mangelte es an politischer Unterstützung für eine valorisierte Finanzierung des Festivals: „Die Politiker nehmen den ,steirischen herbst' als weiße Weste -um eine Evaluierung haben sie sich nie bemüht. Mein großer Irrtum war, daß es ihnen überhaupt nicht um die Inhalte geht, sondern um die äußere Form.” Das Spiel hat den Erfinder der Humanic-Werbung müde gemacht. Zumal Haberl auch als Professor an der Hochschule der Bildenden Künste Saarbrücken im Kampf gegen verstopfte Geldhähne und formularhungrige Bürokraten Ahnliches durchmacht, hat er die Vertragsverlängerung zurückgezogen.

Spielhürden waren weiters das nicht gebaute Trigon-Haus und die Gegenpläne mancher Politiker zur Errichtung einer Ritter-City in Graz. Aber auch die mangelnde Mitmach-bereitschaft bei seinen Jahresthemen. „Es gehört zum Wesen des ,steiri-schen herbstes', Leuten Gelegenheit zu geben, etwas zu produzieren.” Für Haberls Kulturarbeit war die Frage zentral: „Wie komme ich zu Leuten, denen ich am ehesten zutrauen kann, mit einem bestimmten Thema umzugehen?”. Ein Gegenspieler, Peter Weibel - der „Denkschatten” der kommenden Spielleiterin Christine Frisinghelli — hat die heurige Trigon-Ausstellung „Ortlos” abgesagt. Haberl sieht hinter Weibels Begründung - Haberls „Knausrigkeit” - einen Vorwand, Unfertiges abzusagen.

Das Spiel provoziert das Scheitern. Definiert sich Avantgarde nicht als Sackgasse, jenseits gängiger Organisation und Präsentation? Die Präsen-tierbarkeit mancher Projekte -„Deathrow” über die Zeit vor der Vollstreckung der Todesstrafe oder das Projekt „Wochenklausur” über die Lebensverhältnisse von Ausländern - ist lückenhaft, aber „ irgendwas davon bleibt über”.

Graz ist - seit Richard Strauss' Salome - ein historischer Platz des Skandals. „Vielleicht ist das ein Kennzeichen der Provinz. Die regionale Bühne entprovinzialisiert sich dadurch, daß sie sich mit dem, was in der Welt vorgeht, befaßt.” Heuer per Symposion mit Jugoslawien. Gegenprojekt zu einer „ästhetischen Umweltverschmutzung und zu hochbezahltem Kitsch” ist das Projekt einer nomadischen Moderne „Das letzte Haus”: „Mir ging es ums Gesamte - etwas, das im klassischen, nach Sparten getrennten Kulturbetrieb nicht möglich ist.” Der Werkstattcharakter widersetzt sich der Wiederholbarkeit, „die Einmaligkeit war die Authentizität des Ereignisses”. Der „stejrische herbst” ist aus Verlegenheit entstanden, nicht als Avantgarde-Festival: „Man wollte die Sommerspiele auf den Herbst verlegen, weil es da weniger regnet.”

Haberl hat die Kunst des Skandals geübt: „Die Möglichkeit, alles zu bieten, hat dazu geführt, daß sich niemand mehr erregt. Man ist gewohnt, daß es bei uns Dinge gibt, die es anderswo nicht gibt.” Andererseits: „Wenn ein Thema zu sehr brüskierte, war die konzeptuelle Mitarbeit schwierig... Ich will der Werkstatt, also dem Scheitern den Vorzug geben.” Kann ein „Anti-Festival” scheitern und ist das nicht Erfolg? Spielverderber ist er keiner - er hat sich das „Geplapper der Nachfolgerin an die Tür gehängt” —, aber das Spiel ist ihm verdorben. Als einer der letzten Spielzüge erscheint demnächst unter dem Motto von 1990, „Nomadologie der Neunziger”, eine Retrospektive seiner fünf steirischen herbste.

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