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Jan Faktors witzig-drastischer Roman "Schornstein" führt unter anderem ins bürokratische Dickicht des Gesundheitswesens.

In unserem, für mich auf jeden Fall besten Land auf der Erde gibt es eine Möglichkeit, Leute wie mich bei Gesundheit zu halten. Daß ich noch immer da bin, verdanke ich einer Maschine, mit der ich mir mein Blutplasma filtern lasse. Erfunden wurde das wunderbare Gerät zwar für andere Störungen, es funktioniert aber auch bei mir." Die Probleme für Schornstein, den vornamenlosen Ich-Erzähler, beginnen damit, dass auf Weisung der KV, der Kassenärztlichen Vereinigung, die Finanzierung seiner teuren Blutwäsche bis auf weiteres ausgesetzt wird. Die Wirksamkeit der Therapie sei durch Studien nicht erwiesen ...

Morbide Komik

Aus dieser für den Protagonisten durchaus lebensbedrohlichen Ausgangssituation entwickelt Jan Faktor einen grotesken Roman, der in seiner morbiden Komik seinesgleichen sucht. Schornstein nimmt mit beachtlicher Energie den Kampf gegen den schwer fassbaren Feind der KV auf - Kafkas Schloss ist dagegen eine vergleichsweise transparente Institution! - und findet sich bald heillos im bürokratischen Dickicht des Gesundheitswesens, rätselhaften Parallelstrukturen und persönlichen Intrigen der involvierten Ärzteschaft verstrickt. Einem modernen Michael Kohlhaas gleich verliert er in seinem scheinbar aussichtslosen Feldzug gegen behördliche Willkür jedes Maß und Ziel - und bei rapide sich verschlechternder physischer und psychischer Verfassung auch beinahe die Kontrolle über sein Leben (wäre da nicht Anne, seine Frau!). Siege kann er wenige verzeichnen, vermeintliche Verbündete erweisen sich oft als katastrophale Fehlgriffe, bis ihm letztendlich sogar der Feind abhanden kommt.

Deutsche Vergangenheit

Jan Faktor gelingt das Kunststück, stets die Balance zwischen Witz, Drastik (Leser mit empfindlichem Magen seien hier ausdrücklich gewarnt) und durchaus "unkorrekter" Provokation zu halten. Wie sein Protagonist ist auch er Jude, und so hat der Roman, abgesehen von Schornsteins persönlichen Katastrophen, auch wesentlich den Umgang mit der deutschen Vergangenheit, mit Minderheiten und Ausgegrenzt-Sein zum Thema. Ohne zu moralisieren lässt Faktor dabei die Erfahrungen seiner eigenen Familie unter dem Naziregime einfließen.

Schornsteins Wohnhaus in Berlin-Pankow präsentiert sich voll von skurrilen Bewohnern als aufschlussreicher Mikrokosmos, dessen zentraler Quälgeist Herr Kabrow ist, "Ein-Mann-Hausbürgerwehr, Tür-Zurammeldienst und Sittenwächter" in einem und ebenso feige wie penetrant, mit anderen Worten: ein Blockwart par excellence. Und dann gibt es auch noch die reizende alte Frau Schwan, die Schornstein ebenso in ihr Herz geschlossen hat wie einige Penner, die sie bei sich übernachten lässt. Aus ihrer zugemüllten Wohnung dringt stetig ein bestialischer Gestank, was verschiedene Ursachen hat. Als Schornstein einmal Nachschau hält, findet er unter anderem nicht nur verwesende Ratten sondern auch die säuberlich verwahrte SA-Uniform des verewigten Herrn Schwan - der Gestank ist also auch im übertragenen Sinn zu verstehen. Schornsteins Zuneigung zu Frau Schwan tut diese Entdeckung allerdings keinen Abbruch.

Beglückende Beziehung

Nicht zuletzt erzählt der Roman, für den der Autor mit dem renommierten Döblin-Preis ausgezeichnet wurde, auch die Geschichte einer beglückenden Liebesbeziehung, die sich zwar eher leise im Hintergrund abspielt, aber dennoch das einzige ist, was Schornstein Halt (und dem Roman ein Gerüst) gibt. Denn ohne seine Anne wäre Schornstein von Anfang an rettungslos verloren ...

Schornstein

Roman von Jan Faktor

Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006

284 Seiten, geb., e 20,50

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