Heimatkitsch im Walsertal

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Reinhold Bilgeri lässt in seinem ersten Roman kein Klischee aus.

Reinhold Bilgeri, in den 80er und 90er Jahren auch international erfolgreicher österreichischer Popmusiker, hat seinen ersten Roman veröffentlicht. Genau genommen ist es ein Buch zum Film, denn der Roman ist parallel zum gleichnamigen Drehbuch entstanden, das dieses Jahr verfilmt werden soll.

Liebe, die tragisch endet

Der "Atem des Himmels" erzählt die Geschichte einer früh zur Witwe gewordenen, nicht mehr ganz jungen Frau aus verarmter kleinadeliger Familie, die nach dem Tod des Vaters ihrem stagnierenden Leben eine neue Wendung gibt, indem sie - gegen den Willen der zwischen Selbstmitleid und Standesdünkel schwankenden Mutter - eine Stelle als Lehrerin in Blons im Großen Walsertal annimmt. Dort findet sie einen neue Liebe, die jedoch mit dem katastrophalen Lawinenunglück am 11. Jänner 1954 tragisch endet. - So weit, so gut.

Gut und böse

Der Umstand, dass die Protagonistin Erna Gaderthurn offensichtlich einige biografische Details mit der Mutter des Autors teilt, erklärt seine Empathie zur Hauptfigur, kann aber erzählerische Schwächen nicht wettmachen. Obwohl "die vernünftige Erna" und "die Tänzerin Erna" manchmal im Widerstreit liegen und der Leser - oft zu viele! - intime Details erfährt, gewinnt sie kaum Profil. Auch die meisten übrigen Figuren sind recht eindimensional gezeichnet, die Guten und die Bösen sauber getrennt.

Dazu gesellen sich Schlampigkeiten, die einem gewissenhaften Autor nicht unterlaufen dürften. Ein Grammophon zum Beispiel spielt als Attribut der Tänzerin Erna, die in Schlüsselsituationen immer wieder zu Ravels "Bolero" tanzt, eine wichtige Rolle. Doch was ist das für ein Gerät? Zunächst ein verschließbarer Mahagonikasten, später hat es plötzlich einen "Goldtrichter", dann einen Lautstärkeregler (bei einem Grammophon, bei dem die Verstärkung rein mechanisch funktioniert, gibt es das nicht!).

Ein weiteres Manko ist der überraschungslose, in jedem Detail vorhersehbare Plot. Diese Mischung aus Heimatfilm der 50er und Katastrophenfilm der 70er Jahre sorgt zusammen mit der ungebrochen chronologischen Erzählweise für beträchtliche Längen.

Frau zwischen 2 Männern

So findet sich Erna in der neuen Umgebung bald zwischen zwei Männern: Auf der einen Seite steht Baron von Kessel, der sich weigert, die marode Lawinenverbauung zu erneuern und zudem eine dunkle ss-Vergangenheit aufzuweisen hat.

Sein Rivale um die Gunst Ernas ist der querköpfige Lehrerkollege Eugenio, ein autodidaktischer Lawinenexperte, der unermüdlich vor der drohenden Katastrophe warnt. Doch seine Warnungen verhallen folgenlos, denn der ganze Ort ist vom Baron in irgendeiner Weise abhängig. Für welchen der beiden wird sich Erna wohl entscheiden? - Genau!

Bis zum melodramatischen Ende wird auch kein Klischee ausgelassen. Ein Klassiker des Genres ist sicherlich Ernas Sturz vom rutschigen Steg, der Eugenio Gelegenheit gibt, sich als Lebensretter zu profilieren ...

Phrasen überzeugen nicht

Auch sprachlich stößt der Autor deutlich an seine Grenzen. Das wird vor allem bei der umständlich entwickelten Liebesgeschichte deutlich, insbesondere bei den Liebesszenen - zugegeben, ein schwieriges Terrain!

Geschwätzig und verschleiernd zugleich kommen hier Phrasen zum Einsatz, die jedem Ärzteroman alle Ehre machen würden. Da vereinen sich Körper "in wilder und zärtlicher Vertrautheit" und werden "kleine Tode" gemeinsam gestorben, dass man als Leser nur den Kopf schütteln kann.

Leider muss der Roman als ziemlich misslungen bezeichnet werden und der Grund dafür liegt zum Teil sicher an der eigenartigen Textgenese, denn was als Drehbuch funktionieren kann, liefert nicht zwingend einen guten Roman. Als Filmvorlage wären ja durchaus Ingredienzien zu einem Erfolg vorhanden: eine melodramatische Liebesgeschichte, eine spektakuläre Katastrophe und ein interessanter, durchaus auch kritisch beleuchteter historischer Hintergrund. Durch einen verständigen Regisseur umgesetzt und bei guter Besetzung sollte da wenig schief gehen.

Drehbuch ja, aber Roman?

Den Roman hätte der Autor aber von Grund auf neu entwickeln und sich dazu wohl auch mehr Zeit nehmen müssen. So wirkt das Ergebnis aber wenig ambitioniert und ist über weite Strecken schlicht langweilig.

Der Atem des Himmels

Roman von Reinhold Bilgeri

Molden Verlag, Wien 2005

280 Seiten, geb. e 19,80

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