"Ich reiste, ich recherchierte, ich erfand"

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Am Anfang sind da Geschichten über die eigene Großmutter, die in der Familie und in den Begegnungen mit Fremden kursieren, dann die erste Verlobung der Mutter, von der die Tochter bislang nichts geahnt hat, oder die „in Angriff genommene Auswanderung“ der „Eltern nach Australien 1954“ – all diese autobiografischen Puzzlesteine fügen sich irgendwann zu inhaltlichen Koordinaten eines Romans zusammen, über dessen Entstehungskontext die österreichische Autorin und Künstlerin Beatrix Kramlovsky in einem Nachwort ganz lapidar bemerkt: „Ich reiste, ich recherchierte, ich erfand.“

Primär geht es in der Prosa „Die Lichtsammlerin“ um drei Frauen aus drei Generationen. Kramlovsky erzählt aus drei Perspektiven und verwebt die Schicksale einer Großmutter, ihrer Tochter und Enkeltochter. Der Roman beginnt mit Marys Neubeginn nach der Scheidung auf Kangaroo Island. Sie ist es, der sich sukzessive die Familienhistorie zu erschließen beginnt, als nach einem Anruf aus Österreich ihr Leben in Australien plötzlich aus den Fugen gerät.

Wurzelpflege und Grenzziehungen

Mary hat einen guten Job als Journalistin bei einem australischen Radiosender, ist frisch verheiratet und soll nun auf unbestimmte Zeit nach Österreich kommen, um ihre demente und pflegebedürftige Mutter Erika zu betreuen, und zwar so lange, bis diese einen Heimplatz akzeptiert. Jene ist nämlich nach dem Tod ihres Mannes kurzerhand in ihre einstige Heimat zurückgekehrt. Marys Zusage wächst sich zu weit mehr als simpler „Wurzelpflege“ aus. Die Reise nach Österreich mutiert plötzlich zu einer Reise in die Vergangenheit, wobei Erika Episoden aus ihrem Leben preisgibt, von denen Mary nichts geahnt hat. Marys Großmutter war im Zweiten Weltkrieg politisch im Widerstand aktiv, trotz ständig drohender Gefahren rettete sie zahlreichen Menschen das Leben. „Lichtsammlerin“ wird sie von vielen genannt. Sie ist hübsch, beliebt, stark, bewundernswert, „eine Lichtgestalt mitten im düsteren Grau“, aber ihre liebenswürdige Art wird ihr zum Verhängnis. Erika, deren Verhältnis zur Mutter stets belastet war, hat zahlreiche Kapitel aus ihrer Vergangenheit verdrängt. Erst sehr spät kommt tief Verschüttetes zum Vorschein und Mary lernt, die Familiengeschichte in ihr eigenes Leben zu integrieren und zu verstehen.

In eindringlichen Bildern geht Kramlovskyder Matrix ihrer Wurzeln nach und erschafft in den drei Biografien mutige Frauen, die selbstbestimmt und konsequent ihre eigenen Wege gehen. „Migration und Grenzziehungen aller Art“ zählen zu ihren Lebensthemen. Mit profunden Recherchen über die Zeit des Zweiten Weltkriegs im Raum Linz trägt Kramlovsky auch zur regionalen Vergangenheitsbewältigung bei. Denn, wie es hier heißt: „Die Vergangenheit ist der Nährboden für unsere Zukunft.“

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