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In Onkel Toms Hütte

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In Dresden, nicht dem deutschen, sondern dem kanadischen, hat ein Neger — den eine Dichterin weltberühmt machte — seine letzte Ruhestätte gefunden. Als Harrtet Beecher Stowe vor 117 Jahren ihr Buch „Onkel Toms Hütte“ veröffentlichte, war Dresdens schwarzer Prediger Josiah Henson das Vorbild für den Onkel Tom.

In Gedanken versunken, betreten wir sein altes Haus, das zum Museum umgewandelt wurde. Wir sind hier im Süden der Kernprovinz On-tarlo, im fruchtbaren Farmland der Grafschaft Kent, die fast die Hälfte aller in Kanada angepflanzten Soya-b,ohnen produziert. Jedes Jahr ziehen Zehntausende, gleich uns, zu dem Grab und nachher zu dem Haus — Uncle Toms Cabin (Onkel Toms Hütte) genannt. Sie erinnern an einen unigewöhnlichen Neger, der vor 139 Jahren aus den Vereinigten Staaten nach Kanada geflohen war. Damit aber ist eine besondere Geschichte verbunden.

Dem harten Herrn das Leben gerettet

Josiah Henson wurde im Jahre 1789 auf einer Plantage in Maryland geboren, wo seine Eltern als Sklaven arbeiteten. Später wurde der junge Josiah nach New Orleans (Lousiana) verkauft. Die Chronik berichtet, daß er einmal derart ausgepeitscht worden war, daß er für den Rest seines Lebens nicht vermochte, die Arme über seinen Kopf zu heben — doch einmal rettete er seinem herzlosen

Gebieter das Leben. Als Zwedund-zwanzigjähriger heiratete Josiah Henson eine junge Sklavin. Später kam er nach Kentucky, und hier begann er auch zu predigen. Am 28. Oktober 1830, an einem kühlen Herbsitabend, glückte Josiah Henson die Flucht nach Kanada, das dem fliehenden Negersklaven wie ein Paradies erschien.

In Kanada küßte Josiah Henson die Erde. Ein Passant (sein Name — Colonel Warren — ist bis heute bekannt) sah das ungewöhnliche Verhalten des Negers und forschte nach der Ursache. Josiah Henson antwortete, er sei vom Gefühl der Freiheit überkommen, und der gute Colonel konterte: „Ich wußte nicht, daß die Freiheit einen Mann da™ veranlaßt, im Sand herumzurollen!“

Von der englischen Königin empfangen

Schließlich erreichte Josdaih Henson den beschaulichen Ort Dresden in der Grafschaft Kent. Hier gründete der tiefreligiöse Neger, der zum Prediger geworden war, eine Zufluchtstätte für entflohene Sklaven, denen es gelungen war, über die Grenze zu entkommen. Menschenfreunde stellten ihm die notwendS-gen Mittel und 300 Morgen Land zur Verfügung. Reverend Josiah Henson, der als „Onkel Tom“ berühmt wurde, verbrachte den Rest seines Lebens in dem gemütlichen Dresden, in dem heute noch an die 300 Neger leben. Im Jahre 1877, während er in England weilte, um Geld für in Not

geratene entflohene Sklaven zu sammeln, lud ihn Königin Victoria zu einem Besuch auf Schloß Wind-sor ein. Die Herrscherin sah den weißhaarigen Achtundachtzigjährigen prüfend an und sagte: „Sie sind ein gutaussehender Mann.“ Und Reverend Josiah Henson, alias Onkel Tom, konterte lächelnd: „Majestät, das sagen alle Damen..

94 Jahre alt geworden

Josiah Henson, der als Knabe mit seiner Mutter in Maryland von Plantage zu Plantage zog, hat seinen Vater — der damals nach Alabama verkauft worden war — nie wiedergesehen. Als Reverend Henson am 5. Mai 1883 im Alter von 94 Jahren starb, wurde er auf dem British American Institute Cemetery, in dem entflohene Sklaven ihre letzte Ruhestätte fanden, beigesetzt Heute weisen in Dresden grüne Pfeile zu dem kleinen, verwitterten Haus von Josiah Henson. Es führt die offizielle Bezeichnung Uncle Toms Cabin und ist die größte Fremdenverkehrsattraktion des beschaulichen Gebietes. In Onkel Toms Hütte erfahren wir, wie es kam, daß die kleine Stadt im Herzen des fruchtbaren Farmlandes des südlichen Ontario — die ursprünglich von britischen Kolonisten besiedelt wurde — den deutschen Namen Dresden erhielt. Die Erklärung ist ein Beweis für die Macht der Frau in der guten, alten Zeit. Der Ort wurde auf den Wunsch der Gattin eines Kolonisten, die aus dem großen Dresden stammte, benannt...

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