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Irische Schicksale

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DIE LANGE STRASSE NACH UM- MERA. Elf Meistererzahlungen aus Irland. Von Frank O’Connor. 228 Seiten. Preis 15.80 sfr. - SUNDER UND SANGER. Meistererzahlungen aus Irland. Von Sean O’Faolain. 353 Seiten. Preis 18.80 sfr. — Beide Bande sind ubertragen von Elisabeth S c h n a c k und erschienen im Diogenes- Verlag, Zfirich.

Die Ubersetzerin und der Verlag ver- dienen grofien Dank fiir die kostlichen Gaben, die sie uns aus Irland bescheren: Erzahlungen voll Kraft und Urwfichsigkeit, aber auch voll herber Zartheit, mensch- licher Anteilnahme und unerschbpflicher Phantasie. Beide Autoren — O’Connor und O’Faolain — sind Vertreter jener Generation, die in den Spuren von W. B. Yeats’ ..irischer Renaissance” ihre Impulse aus dem Heimatgefiihl, aus der Entdeckung der irischen Landschaft und Atmosphare ge- winnt. Dieser vielschichtige, spezifisch irische Hinter- und Untergrund ist der Wurzelboden der menschlichen Schicksale, mit denen wir konfrontiert werden. Schicksale, in denen Melancholie und Lebens- freude einander durchdringen und kfihne Traume den kargen Alltag besiegen.

O’Connor hat einmal gesagt: „Fiir mich besteht die Welt aus nichts anderem als Menschen. Mehr und Besseres wird man nie entdecken.” Diese Einstellung spiegelt sich in seinen Erzahlungen. Der Mensch in seiner Macht und Ohnmacht, in seiner Verlorenheit und Ausgesetztheit, aber auch mit seiner Fahigkeit, das Schicksal zu be- waltigen — das ist sein in vielen Variatio- nen abgewandeltes Thema. Das ist die schone Titelerzahlung „Die lange Strafie nach Ummera”, in der eine alte Frau zum Sterben in ihre Heimat zurfickkehrt:

Es war ein Friihlingstag voller Sonne und wandernder Walken, als sie liber die lange Strafle nach Ummera fuhr, den gleichen Weg, den sie vor vierzig Jahren gekommen war. Der See glich einem Strahlentanz von lauter Miicken, die Sonnenspeichen, die wie ein gropes Miihlrad kreisten, trauften ihre Kaska- den milchigen Sonnenlichts Uber die Berge und auf die weip getilnchten Hiitten und die kleinen schwarzen Berg- rinder zwischen den Vogelscheuchen- feldern. Der Leichenwagen hielt am An- fang des Pfades, der zu einer Hiitte ohne Dach fiihrte, genau, wie sie es sich in den langen Nachten ausgema.lt hatte, und Pat. der schwermiitiger denn je aussah, wandte sich an die wartenden Nachbarn und sagte: ..Nachbarn, das ist Abby, die Tochter von Batty Heige, und sie hat ihr Versprechen gehalten.” Oder, wie selbstvetstandlich ist in der schonen Geschichte „Die Brautnacht” die heikle SchluBepisode, weil das Wagnis, das sie schildert, auf reinste Hilfsbereitschaft zurfickgeht. Da legt sich eine junge Leh- rerin („Sie sah unglficklich aus, aber es stand auch noch etwas anderes in ihrem Gesicht... namlich Entschlossenheit, das Notwendige zu tun”) Zu einem Geistes- gestorten ins Bett, um ihn zu beruhigen und seinen Abtransport in die Heilanstalt zu erleichtern.

„Und ist es nicht seltsam und wunder- bar? Von der Stunde an bis zu dem Tage, an dem sie fur immer von hier fortging, sagte keiner ein schlechtes Wort fiber das, was sie getan hatte, und die Leute konnten ihr gar nicht genug zuliebe tun. 1st das nicht seltsam, wo doch die Welt so verdorben ist, daB ihr da keiner ein bases Wort nachgeredet hat?”

O’Connors Erzahlungen sind einfach und klar wie Volkslieder und, bei aller Reali- stik der Details, voll Poesie, die den Alltag verklart, ohne ihn zu verfalschen.

O’Faolains Erzahlungen, in Form und Inhalt denen seines Landsmanns eben- bfirtig, kreisen gleichfalls um typisch irische Schicksale, die doch auch immer etwas Allgemeingfiltiges enthalten. Er hat ein Herz fiir die Kauze und Sonderlinge und weifi, daB hinter ihrem seltsamen Ge- baren nur zu oft Hilfslosigkeit und Ein- samkeit stehen. Immer wieder zeichnet er mit untruglichem Scharfblick die mensch- liche Unzulanglichkeit und die Vergeb- lichkeit, ihrer Herr zii werden. Aber, in der Art, wie er das tut, erweist sich recht cigentlich seine Menschlichkeit, Das Ver- sagen wird fflr ihn zum AnlaB nicht von Verachtung und Bitterkeit, sondern tiefen Mitgefiihls. Und in der Schwiiche offen- bart sich ihm das ursprfinglich Mensch- liche.

Scharf wird O’Faolains Kritik, wenn er den von Staat und Kirche geforderten Puritanismus und Provinzialismus seiner Landsleute unter die Lupe nimmt, Erschei- nungen, in denen er eine Gefahr fur das geistige Leben seines Landes, aber auch fur die Krafte des Herzens und der Seele sieht.

Am schbnsten an diesen irischen Erzahlungen ist ihre Schlichtheit, die freilich nichts mit Primitivitat zu tun hat. Sie sind einfach und wahr, wie alles GroBe einfach und wahr ist. Sie konnen auf billige Effekte verzichten, weil in ihnen, wie ein deutscher Kritiker unfibertrefflich sagt, „das Menschliche selbst die Pointe ist”. Man darf mit Spannung die vom Verlag angekundigten weiteren Ubersetzungen der Werke O’Faolains erwarten, die bei Elisabeth Schnack in besten Handen sind. Ihre hervorragenden Ubertragungen lassen ver- gessen, daB man nicht das Original vor sich hat.

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