Auf Augenhöhe: "Ich wünschte" von Ingrid Godon und Toon Tellegen

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Unser Lektorix des Monats.

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Das Porträt darf als Kunstform verstanden werden, die nicht nur Abbildcharakter im Sinne einer physiognomisch genauen Darstellung des oder der Porträtierten hat, sondern darüber hinaus dessen oder deren Persönlichkeit einfängt. Seine Wirkung entsteht zuallererst über die Augenhöhe, die die Betrachterinnen und Betrachter der dargestellten Person gegenüber einnimmt. Darin liegt ein Rezeptionsvorsprung für jene, die in diesem Porträtband blättern: Unabhängig von ihrer Körpergröße können sie Blickkontakt auf Augenhöhe aufnehmen. Dennoch entstehen Irritationen, denn nicht alle Porträtierten blicken ihre Betrachterinnen und Betrachter an; oftmals verliert sich der Blick oder schweift in die Ferne; die Person gegenüber blickt durch einen hindurch oder hält die Augen gleich ganz geschlossen. Gesteigert wird dieses Moment der Irritation jedoch durch die Strenge in all diesen Blicken - niemand lächelt oder lacht, die Münder bleiben verschlossen.

Geheimnis Person

Nicht nur die jeweilige Persönlichkeit steht hier also zur ikonografischen Diskussion, sondern das Geheimnis, das hinter den Personen liegt - textlich realisiert durch formulierte Wünsche oder Sehnsüchte. Thematisiert werden dabei die Entfremdung von der Welt und sich selbst bis hin zu utopierten Auflösungsprozessen: "Ich wünschte, ich wäre allein. / Nein, das wäre zu viel. / Ich wünschte, dass ich überhaupt niemand wäre.“ Verlorensein und Einsamkeit finden dabei ebenso künstlerischen Ausdruck wie die Präsenz der menschlichen Endlichkeit und das daraus erwachsende Begehren, verankert zu sein: "Ich wünschte, ich wäre Musik. […] Ich wünschte, dass mich ein jeder irgendwo / und unerwartet hören könnte, stehen bleibe / und lauschte, bis ich verklungen wäre. […] / Doch endgültig verklungen wäre ich nie. / Niemals.“

Die als Bilderbuchkünstlerin bekannte Illustratorin Ingrid Godon hat ihre Porträts für eine Ausstellung großflächig auf matten, naturfarbenen Tonpapieren gestaltet. In Gesichtern mit weit auseinanderstehenden Augen setzt sie ihre Akzente über Bleistiftschattierungen, die wie Schleier über den Gesichtern liegen und Persönlichkeitsstrukturen gleichermaßen freigeben wie verschleiern. Der Kinderbuchautor Teen Tellengen hat poetisch auf die Emotion des Wünschens reduzierte Texte dazu gestaltet. Mit der bibliophilen, mit transparenten Zwischenseiten gestalteten Buchausgabe ist daraus kein Kinderbuch im engeren Sinn, wohl aber ein Band entstanden, der es allen Altersstufen ermöglicht, sich auf Augenhöhe auf menschliche Grundsehnsüchte einzulassen.

Ich wünschte

Porträts von Ingrid Godon mit Texten von Toon Tellegen Mixtvision 2012 96 S., geb., e 30,80

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