Aus Feuer geboren

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Lektorix des Monats.

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"Mein ist die Rache, redet Gott." In der Klimax seiner 1882 erstmals veröffentlichten Ballade verdichtet der Schweizer Schriftsteller Conrad Ferdinand Meyer das Entsetzen, das sich in den Verszeilen verfestigt. Die Erkenntnis, in welcher Weise das Schicksal des Gastes, der in einer stürmischen Nacht Herberge suchend an eine Türe klopft, mit jenem der Gastgeber verknüpft ist, führt zu einem Ausmaß an Erschütterung, das in frappantem Kontrast zur erzwungenen Ruhe des Gastgebers und der scheinbaren Leichtigkeit steht, mit der der Gast über seine Schuld hinweggeht.

Gerissenes Papier

Wie schon in seiner künstlerischen Annäherung an Johann Wolfgang von Goethes "Der Erlkönig" macht auch hier Jens Thieles Ästhetik des gerissenen, geschnittenen und collagierten Papiers die Brüchigkeit einer Welt sichtbar, in der Handlungsgewalt letztlich beim Tod - oder beim Herrn - liegt. Die Vorliebe des Illustrators für ein kontrastreiches Miteinander von Schwarz und Rot setzt die prägenden Akzente - scheint die Ballade von Conrad Ferdinand Meyer doch aus dem Feuer heraus geboren.

Einmal mehr nutzt Thiele eine wortwörtliche Bild-Inszenierung, um den fiktionalen Charakter der Ballade zu betonen: In das Schwarz des Vorsatzpapieres leuchtet ein Scheinwerfer und erhellt den Titel, als würde dieser auf einer Kinoleinwand erscheinen; in der Dunkelheit des Zuschauerraums gilt der Blick allein jenen Affekten, die die Vorstellung im Licht-Spiel-Theater evoziert. Wobei der "Film" selbst auf der schwarz umrandeten Leinwand des Bilderbuches in Schnittbildern erscheint, die in Durchlässigkeit seinen Produktionsprozess zeigen: Jener Scheinwerfer, der den Blick der Betrachter von Beginn an lenkt, erhellt die Szenerien und macht deren Charakter als Kulisse erkenntlich. Die Narration der Ballade wird damit ganz aus ihrer Entstehungszeit gelöst.

In der Ahnengalerie wird der Reiter im Mantel des Königs mit seiner schuldhaften Vergangenheit konfrontiert: Das Porträt jener Frau, die er einst gefoltert und getötet hat, drängt sich ihm förmlich entgegen - und erinnert gleichzeitig in seiner Ikonografie an moderne Film-Leichen, deren Tod forensisch und deren Leben ermittelnd umkreist wird.

Leitmotivisch drängt sich das Feuer ins Bild, das die Frau in jener Nacht der Hugenotten-Jagd ebenso verschlungen hat, wie es nun die Gedanken des Reiters - dem Fegefeuer der radikalen Selbsterkenntnis entsprechend - "verschlingt". Thiele gelingt eine herausfordernde Literatur-Interpretation, die das Bilderbuch einmal mehr als Kunstform ausweist.

Die Füße im Feuer

Von Conrad Ferdinand Meyer und Jens Thiele Jacoby&Stuart 2013 40 S., geb., € 20,60

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