Ausgrenzungen, Aggressionen

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Unser Lektorix des Monats.

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Am Anfang war das Wort. Das ausgesprochene, viel mehr aber noch das unausgesprochene Wort bestimmt die Dramaturgie eines Jugendromans, der in der fiktiven australischen Kleinstadt Corrigan im Jahr 1965 angesiedelt ist. Am Beginn wird das Wort an den Ich-Erzähler Charlie gerichtet und es ist ein Hilfeschrei, an den sich eine Vielzahl solcher in Worten , Gesten oder Taten formulierte Hilfeschreie anschließen soll.

Der missliebige Außenseiter Jasper Jones taucht eines Nachts vor Charlies Fenster auf und führt ihn zu einem Geheimplatz im Busch. Das Bild des Grauens, das sich Charlie dort bietet, bestimmt das Faszinosum ebenso wie den weiteren Verlauf des Erzählten: Alles dreht sich um Laura Wishart, doch weniger die Klärung dessen, was mit dem Mädchen passiert ist, als vielmehr Charlies Involviert-Sein darin prägt den Grundtenor des Romans. Denn Charlie begegnet dem Miteinander in der Kleinstadt mit mehr Misstrauen, aber auch mit größerer Aufmerksamkeit. Kaum zu verbergende Geheimnisse und das Flüstern der Vergangenheit übersäen Corrigan, wie Craig Silvey selbst es in einem Interview formuliert. Familiäre Scheinwelten, Animositäten und Mechanismen der Ausgrenzung, aufkeimende Aggressionen über Australiens Rolle im Vietnamkrieg -das alles überträgt sich auf den Mikrokosmos eines Provinznestes, in dem die Figuren zunehmend gefangen scheinen. Die Beengtheit gleicht einem Cricketfeld, auf dem der Handlungsspielraum durch den Variantenreichtum der Möglichkeiten entsteht, den Ball zu schlagen.

Komplexes Sittenbild

Während Charlies bester Freund Jeffrey diese Schläge beherrscht (aber aufgrund seiner vietnamesischen Herkunft dennoch an den sozialen Rand gestellt ist), liegt Charlies Potenzial in der Sprache und in seinem Interesse an Literatur. Sie öffnet ihm den Horizont, sie ermöglicht es ihm, das provinzielle Geschehen an die grundsätzlichen Fragen der menschlichen Existenz ebenso anzubinden wie an historische Entwicklungen. Zu seiner literarischen Leitfigur wird Atticus Finch. An dessen moralischen Grundsätzen versucht Charlie sein Handeln auszurichten, als seine aufkeimenden Gefühle für Eliza Wishart seine Loyalität zu Jasper Jones auf die Probe stellen. Denn nur er und Jasper Jones wissen, dass Laura Wishart, die als vermisst gilt, bereits tot ist. Hineingestellt in anglo-amerikanische Erzähltraditionen gelingt es Craig Silvey, mit seiner besonderen Gabe des geschliffenen Dialogs eine jugendliche Perspektive zu nutzen, um ein komplexes Sittenbild zu zeichnen und dabei eine äußerst spannende Geschichte zu erzählen.

Wer hat Angst vor Jasper Johns? Von Craig Silvey Übersetzt von Bettina Münch Rowohlt 2012 432 S., geb.,€ 17,50

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