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Diskothek und Nationalbank

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Lärm gehört zur urtümlichen

Religion. Mit fröhlichem Lärm hat man schon in ältesten Zeiten heilbringende Götter und Göttinnen empfangen. Aber Lärm ist auch ein probates Mittel, um die bösen Geister zu vertreiben. Reste dieser Vorstellung feiern im alpinen Fremdenverkehr fröhliche Ürständ. Doch auch Österreichs diskosüchtiger Jugend wird von mißgünstigen Fachleuten eine letztlich nur mehr religiös erklärbare Lärmsüchtigkeit unterstellt. Und ein argloser Verwaltungsgerichtshof muß zur Kenntnis nehmen, daß er mit seinen verord neten 85 Dezibel das religiöse Leben der österreichischen Jugendlichen stört, ja sogar in Frage stellt. Denn Disko mit 85 Dezibel, das ist so wie Kirche mit Blockflöte statt Orgel. Wer auf 85 Dezibel beharrt, liefert junge Menschen den bösen Geistern aus. Aber wie jedes religiöse Phänomen ist auch der Lärm ambivalent. Zusammen mit dem Gestank gilt er seit alters her als Teufelswerk beziehungsweise als teuflisches Folterinstrument. Derzeit baut die Oesterreichische Nationalbank mitten in Wien ihren neuen „Tempel“, und „tiefere Mächte“ leiten scheint’s dieses Projekt. Wenn diese Baustelle nur eine

Diskothek wäre, seufzen die intoleranten Anrainer, dann gäbe es wenigstens einen Hoffnungsschimmer. Aber undankbar wie „Anrainer“ - eine idyllische Verfremdung für Lärmopfer - nun einmal sind, vergessen sie ganz, daß sie periodisch durch ein Trostblättchen auf Hochglanzpapier auferbaut werden. Aber gegen des Geschickes Mächte kämpfen ja nicht nur Götter vergebens, sondern sogar Bezirksvorsteher, Generaldirektoren und Ombudsleute. Nur völlig verständnislose „Anrainer“ können die rastlos Verantwortlichen mit dem

Lärmritual des vergangenen Sommers in Zusammenhang bringen: wenn täglich um sechs Uhr früh der Chor der Preßlufthämmer zu singen beginnt - 105 Dezibel, schier „alt- diskothetisch“! — und erst nach Mitternacht schweigt. „Lärm ist dann schädlich, wenn die Umgangssprache aus einem Meter Entfernung nicht mehr verstanden werden kann“, sagen die Experten — und die gelehrigen „Anrainer“ haben längst ihre Fenster zugemauert.

Aber Lärm ist eben ambivalent, und so ist keine Wiener Straße so frei von bösen Geistern wie die Garnisongasse. Geleitet wird das „Geschehen“ übrigens von einem Diplom-Ingenieur Höllige - Nestroy hätte sich gefreut.

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