In Zeiten des Krieges: "Als gäbe es einen Himmel" von Els Beerten

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Unser Lektorix des Monats.

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Der Prozess des Erinnerns verläuft nie chronologisch: Dieser Tatsache trägt der zeitgeschichtliche Roman der belgischen Autorin durch ein vorerst verwirrend erscheinendes Arrangement aus Zeitebenen und Erzählperspektiven Rechnung. Nach und nach jedoch kristallisieren sich dabei die miteinander verwobenen Geschichten von vier Jugendlichen heraus, die auf ganz unterschiedliche Weise in die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit involviert wurden.

Der Roman setzt 1967 mit dem Begräbnis von Jef Claesen ein und blickt dann zurück auf die Ereignisse zwischen 1942 und 1947, die sowohl erinnernd als auch aus dem unmittelbaren Erleben der Zeit heraus erzählt werden. Zum dramaturgischen Angelpunkt wird dabei ein Vorfall im Jahr 1944, als ein Treffpunkt belgischer Widerstandskämpfer von Mitgliedern des VNV, des Vlaams Nationaal Verbond, überfallen und dabei ein Freund der Familie Claesen getötet wird.

Todbringende Ausbeutung

Als Täter gilt Ward Dusoleil, der lange Zeit mit den Geschwistern Jef, Renèe und Remi befreundet war - sich dann aber einer flämischen SS-Einheit anschließt, um an der Ostfront gegen die Russen zu kämpfen. Gegen jene Russen, deren Ziel es sei, so stellt es der hetzerische Pfarrer Vanden Avenne den Schülerinnen und Schülern eindringlich dar, den christlichen Glauben auszurotten. Eine Kollaboration mit den Nationalsozialisten erscheint Ward als das geringere Übel, wenn es darum geht, heldenhaft für den Glauben und das eigene Volk einzustehen.

Els Beerten greift die todbringende Ausbeutung jugendlicher Idealisten als Kanonenfutter an der Ostfront thematisch ebenso auf, wie die Rolle Belgiens während des Zweiten Weltkriegs. Zuallererst jedoch ist ihr am Mikrokosmos familiärer, freundschaftlicher und dörflicher Beziehungen gelegen - in einer Zeit, in der nicht überblickbar ist, welche persönliche Positionierung die historisch richtige sein wird. Der Schwierigkeit der Einordnung politischer Ereignisse und persönlicher Entscheidungen entspricht sie durch ihr perspektivisches Arrangement - wobei oft erst im Verlauf der übersichtlich gehaltenen Passagen deutlich wird, wer die gerade erzählende Figur ist. Denn die zentralen Begebenheiten, um die sich die knappen und doch emotional geprägten Schilderungen drehen, bleiben zumeist dieselben. Nur die dahinter verborgene Wahrheit kommt erst nach und nach ans Licht. Ein eindringlicher Roman, der dem jugendliterarischen Diskurs über den Zweiten Weltkrieg eine neue Facette hinzufügt.

Als gäbe es einen Himmel
Von Els Beerten
Deutsch von Mirjam Pressler
Fischer FJB 2011
614 S., geb.,€ 20,60

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