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Unsichtbar ohne eigenes Ich

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Invisible Man” erschien 1952, der erste und einzige Roman des afroamerikanischen Schriftstellers Ralph Waldo Ellison, der ein Jahr später dafür den National Book Award erhielt. Nach dem Tod des Autors 1994 liegt nun eine Neuausgabe vor, ergänzt durch ein Nachwort Ellisons aus dem Jahr 1981.

Die mit vielen autobiographischen Zügen ausgestattete Geschichte erzählt von einem ehrgeizigen und mit Redetalent ausgestatteten jungen Schwarzen aus dem Süden. Sein Großvater war noch Sklave, er erhält ein Stipendium für ein College für Schwarze, das von reichen Weißen finanziert wird. Der traditionelle Weg der armen Schwarzen aus dem Süden auf der Suche nach Arbeit in die Metropolen des Nordens führt ihn aus der Idylle des Colleges nach New York. Er macht Bekanntschaft mit dem Elend Harlems, mit der Arbeitswelt und der Gewerkschaft in einer Fabrik, die weiße Farbe herstellt, schließlich mit einer Bruderschaft Schwarzer und Weißer, die ihn zum Führer ausbildet. Seine Redebegabung wird benützt, bei den schwarzen Massen Harlems Widerstand zu wecken. Zu spät erkennt er, daß es die Absicht war, Gewalt zu provozieren, damit sie mit der Gegengewalt der Weißen niedergeschlagen werden kann. Auf der Flucht gerät er in ein Kellerloch. Hier bleibt er, um sein Leben zu rekapitulieren und Antwort auf die Frage nach seiner Identitätssuche zu finden.

Ellison war der Überzeugung, der afroamerikanischen Sache nicht gerecht werden zu können, wenn er den Schwarzen nur als Opfer der kapitalistischen weißen Gesellschaft darstellte. Vermieden sollte alles werden, was sich lediglich als weiterer Rassenprotest erweisen konnte. Wesentlich ist, daß der Protagonist - er bleibt als Zeichen seiner Identitätslosigkeit namenlos - aus dem Untergrund der amerikanischen Erfahrung weniger zornig als ironisch hervorzukommen vermag, als ein „Blues-gefärbter Über-Wunden-Lachender”.

Er kann, im Gegensatz zu den meisten schwarzen Romanfiguren der amerikanischen Literatur, denken und handeln und die Dinge, die ihn quälen, beim Namen nennen. Er erkennt, daß er unsichtbar ist, weil er immer nur nach den Vorstellungen, Idealen und Ideologien anderer gelebt hat, sodaß sein Ich weder von ihm selbst noch von den anderen gesehen werden kann. In seiner Fähigkeit zur Selbstfindung liegt die Grundlage seiner Suche nach Freiheit. Ellison sieht in dem Roman seine Aufgabe als amerikanischer Künstler erfüllt. Seine virtuos eingesetzten literarischen Mittel kommen auch aus jenem Erbe, das die Farbigen prägte, und das Ellison in die gemeinsame Kultur einbringen wollte.

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