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LOB DES KLATSCHES

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Mit dem Klatsch verhält es sich ähnlich wie mit unserer Verdauung: diese Funktion ist öffentlich sehr verpönt, und doch — es geht eigentlich nicht ohne sie. Alle entrüsten sich über den Klatsch, und trotzdem: Wer frönte nicht mit Genuß diesem Laster im kleinen Kreis? „Haben wir also wieder einmal geklatscht?“ Ach, es ist so entlastend, nach des Tages Arbeit und Last sich des Abends in die sanften Sessel der privaten Vermutung zurückfallen zu lassen: „Wußten Sie denn wirklich nicht, daß er schon mit der, ach, schon lange nicht mehr!“ „Und kennen Sie nicht die wirklichen Gründe, warum die kaputt sind?“ Mit einemmal wird alles so warm, so durchsichtig und verständlich. Die Welt ein einziges großes Kindergesicht, das manchmal bösartig zuckt. Nicht mehr. Die kompliziertesten gesellschaftlichen Prozesse lösen sich nun in ein paar handfeste human facts auf. Die Zusammenbrüche von Ehen, Kommanditgesellschaften und Kabinettskoalitionen werden einsichtig, wenn man nur die privaten Hintergründe weiß. Der Klatsch transportiert sie zungenfertig nach öben. . -

Darin liegt die wichtigste gesellschaftliche Funktion des Klatsches. In einer zunehmend anonymer und abstrakter werdenden Bürokratiegesellschaft präsentiert er uns die unterschlagenen Personalia. Es gibt nur Klatsch über Personen, nicht über Sachen. Der Mensch kann nun einmal schwer auf den Menschen verzichten. Andersens Lehre von den objektiven gesellschaftlichen Prozessen mag wahr sein. Für den einzelnen bleibt sie eine unerträgliche Beleidigung. Im Klatsch wird uns die holde Vermutung nachgereicht, daß es im Grunde doch die Personen, die einzelnen, ihr Intimstes ist, das die Welt bewegt. Im Grunde geht es doch in der Gesellschaft natürlich, recht menschlich, ja, wie man sieht, nur allzu menschlich zu. Warum darf man so etwas beim Bier nicht vermuten?

Klatsch ist ein Gruppenphänomen. Das heißt: man kann alleine nicht klatschen — leider. Er ist ein hochspezialisiertes Gruppenphänomen. Es klatschen nicht die Bäcker über die Komponisten. Die Schornsteinfeger haben nie Nachteiliges über die Schriftsteller verbreitet, obwohl sie doch auch in deren Wohnung tief loten. Klatsch ist ein Zukunftsphänomen. Er setzt die Branche, die Berufsgruppe, mehr noch: die wenigstens entfernte Bekanntschaft unter Kollegen voraus. Über einen Unbekannten kann man nicht klatschen. Es klatschen die Schriftsteller nur über Schriftsteller, wie auch die Marktfrauen nur über Marktfrauen reden. Insofern gehört der Klatsch integral zur Arbeitswelt. Er ist freischaffender Berufsaustausch. Je stärker die Spannung in der Arbeitswelt, um so ergiebiger der Klatsch. Hier zeigt sich wieder seine Entlastungsfunktion.

Es gehört zum Wesen des Klatsches, daß er Nachteiliges transportiert. Uber einen Kollegen zu verbreiten, er sei fleißig, strebsam und seine Ehe vorzüglich, ist witzlos. Die überbrachte Intiminformation wird erst durch jenen gewissen Schlenker ins Gehässige und Boshafte zu einem guten Klatsch. Es gibt nichts Produktiveres als die Bosheit. Sie wird zumal in unserem Lande weit unterschätzt. Die Bosheit darf nicht so weit gehen, daß sie den anderen zerstören, vernichten wül. Das wäre Mord. Die herrliche Bosheit des Klatsches trifft vielmehr nur jenen sensiblen Nerv, an dem der andere ohnehin verletzlich ist: sie hängt etwas an, sie bauscht etwas auf, sie erklärt Mögliches dreist als Wirkliches, sie ritzt ihm etwas ins Fleisch. Darin liegt der Befriedigungswert für uns alle. Darum klatschen wir. Latente Aggressivität wird hier reguliert; gestaute Ressentiments werden in kleinen Ventilen pfeifend abgelassen. Das tut gut.

Der Klatsch ist ein zu subtiles und feinsinniges Gesellschaftsspiel, um ihn den Marktfrauen zu überlassen. Es klatscht sich um so ergiebiger, je höher der intellektuelle Rang der Berufsgruppe ist. Universitätsprofessoren, Literaturkritiker und Theologen sind bekanntlich die herrlichsten Klatschbasen. Warum? Der gute Klatsch setzt Sprache, Stil und Geist voraus. Es kommt nicht auf die bloße Information an, sondern auf die raffinierte und hinterhältige Art, wie und wann sie abgeschossen wird. Eine beschwichtigende Handbewegung, ein Augenzwinkern, der Schwur, es niemandem weiterzusagen, ist wichtig. Darin liegt seine Einmaligkeit, Originalität, ja Unwiederholbarkeit. Auf Kosten eines Abwesenden schafft er eine neue, diskrete Öffentlichkeit. Er ist mit einem Wort — Vertrauenssache.

(Aus der Streit-Zeit-Schrift VI I)

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