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MAX PETITPIERRE / KARRIERE EINES EIDGENOSSEN

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Im Gymnasium von Neuchätel schoben sich im Jahre 1909 zwei Schüler während des Lateinunterrichts gegenseitig Papierblätter zu, auf denen allerlei Mitteilungen standen. „Was willst du im Leben werden?“ fragte der eine den anderen. Die Antwort war; „Bundesrat.“ Der Schüler, der dies hinkritzelte, hieß Max Petitpierre und ist jetzt zum Bundespräsidenten gewählt worden.

In das politische Leben trat der Jurist mit 38 Jahren ein, machte aber den Anfang auf der kantonalen Ebene als Parlamentarier. Schon fünf Jahre später tauchte er in Bern als Ständerat auf. Diese Mitgliedschaft in der Länderkammer sollte nur für kurze Zeit die Vorstufe zur eidgenössischen Laufbahn sein. Seit Ende 1944 leitet er die Außenpolitik des Landes. Zweimal, in den Jahren 1950 und 1955, gelangte er turnusmäßig an die Spitze der Eidgenossenschaft als Bundespräsident,

Wer mit Bundesrat Petitpierre jemals ein Gespräch geführt hat, konnte sich binnen kurzem über den Politiker und den Menschen ein sehr klares Bild machen. Er empfängt seinen Besucher immer mit einem freundlichen Lächeln hinter den großen, schwarzgerahmten Brillen. Die Hand streckt er ihm mit einer Bewegung entgegen, die fühlbar näherbringen und nicht fernhalten will. Sobald aber das Gespräch beginnt, verschwindet das Lächeln aus seinem Gesicht. Man fühlt die strenge Konzentration der Gedanken, die sich in ihm vollzieht, er preßt dabei ein wenig die Lippen zusammen und die gvtze Haltung des Körpers verrät Anspannung. Diese lockert sich aber im Augenblick, in welchem der Gesprächspartner seine Ausführungen beendet und seine Fragen konkret formuliert hat. Die Antwort ist dann schon bereit, sie scheint gleichzeitig mit der Entgegennahme und der geistigen Sichtung der Frage entstanden zu sein. Die Beherrschung der Materie erlaubt es Bundesrat Petitpierre, seine erste Reaktion als die endgültige zu betrachten und sie unmittelbar, ohne Umschweife, ohne Wiederholungen, ohne Korrekturen zum Ausdruck zu bringen. Seine Sprache ist dabei immer sehr ruhig. Er ist keine Kampfnatur und erspart sich damit oft die scharfe Profilierung der Gegensätze zwischen seinen Gedanken und der Auffassung seiner Gesprächspartner. Sehr behilflich ist ihm dabei die ständige Suche nach einem möglichen Gleichgewicht zwischen den Bestrebungen der anderen und den seintgen. Er ist also ein Politiker der vernünftigen Kompromisse und vollbringt Großes durch geduldige Kleinarbeit.

Einen Fehler hat der Staatsmann Petitpierre dennoch — er ist im geistigen Sinne nicht photogen, er hat kein Hobby. Man konnte ihn. in früheren Zeiten auch in Seilschaften auf Gletschern und sogar auf dem Gipfel des Matterhorns sehen, aber das ist schon lange her. Heute taucht er ab und zu auf dem Golfplatz und vielleicht etwas häufiger auf dem Tennisplatz auf, aber seine Backhand-Bälle haben etwas von den Kompromissen, die seine politischen Aktionen charakterisieren. Der Mensch Max Petitpierre ist der Typus des vernünftigen Schweizers, eine Persönlichkeit, die nie stark hervortritt, ein Wille, der nie fühlbar werden will, um im stillen besser wirken zu können. Sein Name wird selten zusammen mit den führenden Persönlichkeiten der europäischen Politik genannt, aber seine Rolle in dieser ist weit größer, als man vermuten würde.

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