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Thomas Manns Erfindung Hans Castorp taucht wieder auf: in Danzig.

Wer Thomas Manns "Zauberberg" liebt, wird die Lektüre von Pawel Huelles "Castorp" ambivalent angehen - misstrauisch und neugierig in einem. Der polnische (in Danzig lebende) Autor wagt eine Phantasie. Bei Mann heißt es, dass Hans Castorp "vier Semester Studienzeit am Danziger Polytechnikum hinter sich" hat, als er die Reise nach Davos antritt, um seinem Vetter einen Besuch abzustatten. Von diesen Danziger Semestern handelt Huelles Roman.

Man beginnt zu lesen und man beginnt zu vergleichen, man ist empfindlich. Weil man sein Bild von Castorp hat und zur eigenen Überraschung entdeckt, wie nachgerade eifersüchtig man es hütet. Seltsam, die Liebe zu diesem blassen Hamburger Kaufmannssohn, der uns im "Zauberberg" als recht "mittelmäßig" vorgestellt wird, ein wenig leer, kurzum: als ein "unbeschriebenes Blatt". Huelle nimmt sich dieses Blatt vor, beginnt darauf zu zeichnen: Wir schreiben 1904, Castorp ist 19 Jahre alt und eröffnet gerade seinem Onkel, Konsul Tienappel, dass er vorhat, "ein paar Semester im Osten zu studieren". Der reagiert skeptisch: "was können die dort für eine technische Hochschule haben? Bestimmt eine miserable, das sag ich dir, mein Lieber." Das spannungsvolle Verhältnis zwischen Ost und West, zwischen Deutschland und Polen im Besonderen, ist wohl das Grundmotiv für Huelles Paraphrase. Es klingt an auf diesen ersten Seiten, beschwert aber nicht das ironisch-elegante Spiel mit dem Stil und den Motiven des "Zauberbergs", das Huelle im Folgenden eröffnet. Castorp reist mit dem Schiff nach Danzig. Bei den Tischgesprächen mit seinen Reisegefährten fühlt sich zumindest der Leser sehr bald in vertrauten Gewässern. Huelle imitiert Manns Art der Figurenzeichnung mit Witz - er überzeichnet, weicht manchmal ab ins Karikaturistische - und beherrscht somit die Kunst, sein Nachahmen mit Eigenleben zu versehen.

Andersartig

Castorp mietet ein Zimmer am Stadtrand von Danzig und nimmt seine Studien am Polytechnikum auf. Er lebt für sich, zu seinen Kommilitonen hält er Distanz, sonntags erkundet er die Stadt. "Ohne Eile, aber systematisch besichtigte er die historischen Bauten, die, wenn sie im Stil auch an seine Heimatstadt erinnerten, doch etwas irgendwie Andersartiges, Ungreifbares besaßen." Castorp ist eine Figur, die der Welt keinen Widerstand entgegensetzt, ein müder Voyeur, der nur aktiv wird, wenn die Not wirklich groß wird. Zum Beispiel wenn ihm seine geliebten Zigarren der Marke "Maria Mancini" ausgehen und Nachschub nur im noblen Bade- und Kurort Zoppot zu bekommen ist. Dort wird er auf der Terrasse eines Restaurants Zeuge der Unterhaltung eines Liebespaares. Die Leidenschaft der Frau, angelegt als Vorfahrin Clawdia Chauchats, fasziniert ihn. Er verfolgt das Paar, entwendet der jungen, schönen Polin gar ein Päckchen - darin ein Buch, Fontanes "Effi Briest". Das Paar ist längst abgereist, die Badesaison vorbei, doch Castorp erkrankt immer schwerer an "infelix amor", wie der Psychoanalytiker, den er konsultiert, diagnostiziert. Heilung sucht er als Patient im Zoppoter Warmbad, in ausgedehnten Fahrrad-Touren und nicht zuletzt in der Beauftragung eines Detektivs, der ihm die Frau ausfindig machen soll.

Marcel Proust empfahl Schriftstellern, die unter dem Eindruck eines großen Vorbildes stehen, die "reinigende und exorzierende Kraft des Pastiches" - d. h. die absichtliche Nachahmung von Rhythmus, Stimme und Stil eines Idols. Mit Huelles Mann-Pastiche verhält es sich ein bisschen so wie mit den russischen Matrjoschka-Püppchen. Es verfügt über ein buntes intertextuelles und kulturgeschichtliches Innenleben, erweist dem alten Danzig ebenso Referenz wie der deutschen Literatur, dem Fin de Siècle oder dem Danziger Hanse-Flottenführer Paul Beneke. Es ist weniger exorzierend als evozierend. Und es ist eine Einladung, ausgesprochen über 100 Jahre, über Krieg und Zerstörung hinweg: "Deshalb möchte ich Dich, Du ewiger, naiver Idealist, auch heute auf dieser Straße sehen {...}". So heißt Huelle am Ende Castorp in Gdansk willkommen. Das ist nicht ohne Zauber.

Castorp

Von Pawel Huelle

Aus dem Poln. von Renate Schmidgall

C. H. Beck Verlag, München 2005

251 Seiten, geb., e 18,40

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