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Jost Hermand träumt von heiler Kunst.

Zugegeben, es ist eine harte Leidenszeit für aufrechte Linke. Der Sozialstaat wird zurückgebaut, die Arbeitszeit verlängert, ehemalige 68er spielen Nadelstreif-Staatsmänner und die Jugend schert sich weder um die Ökologie noch nimmt sie Rücksicht auf die Zeitgenossen, sondern amüsiert sich in der Spaßgesellschaft und setzt im übrigen auf die rasche Erholung der Aktien. Es gab viele Melancholiker nach 1989, die mit der Wende ihre utopischen Ideale des Marxismus begruben, teilweise sehr originell begruben, aber den meisten war klar, dass die neue Zeit nach neuen Ideen der Kritik verlangte.

Hermand gehört zu jenen seltenen Exemplaren, die ihre alten Koffer vom Speicher holen und gegen die Kultur der "euro-amerikanischen Länder", des "NATO-Bereichs" zu Felde ziehen. Der geballte Frust entlädt sich in schlechter Dialektik wie: "die konformistisch-nonkonformistische Ideologie der Ideologielosigkeit". Hermand schreibt sich diesen Frust ungehemmt auf geduldigem Papier eines angesehenen Verlags von der Seele.

Es geht gegen die E-Kultur, die elitär, versnobt, eskapistisch sei. Höchste Zeit, dass der Kulturgeschichtler die Zensur anregt für diese, dort nämlich, wo deren Machtprotzerei, rücksichtslose Triebhaftigkeit, Vergewaltigungsdarstellungen (bei Rubens!), Fresslust zum Sadistischen, Rassistischen, Sexistischen, Gewaltstimulierenden wird und die reinen Seelen vor allem jugendlicher Betrachter schädigt. Hermand genießt die seltene Bekanntschaft Sechzehnjähriger, die bei der Schlussszene in Wagners Parsifal in Tränen ausbrechen und sich bei der Matthäus-Passion in ihrer Existenz vernichtet empfinden.

Noch dicker kommt es bei der Ausgeburt der U-Kultur. Seitenlang ziehen sich die Beschimpfungen von Eventkultur, Starkult, Werbung, Massenmedien, Markenfetischismus, einigermaßen ermüdend, denn wer kennt diese nicht unberechtigten Klagen nicht von jenen Autoren, auf die sich Hermand beruft, von Benjamin zu Bolz, Anders, Barber, Böhme, Welsch. Nur, diese haben die Dinge wesentlich intelligenter behandelt.

Verstaubter Koffer

So also schaut es aus in dieser von kapitalistisch-ausbeuterischen Konzerninteressen gesteuerten Misere, und es stellt sich die Frage, was nun nach dieser Moderne, die mehr oder weniger auch gleich Postmoderne ist, zu kommen hat. Um dies zu erfahren, muss man sich lange durch die Seiten quälen und endlich öffnet sich der verstaubte Koffer vom Speicher: Vor dem Hintergrund der Abschaffung des Reklamewesens, der Großvermögen, der Einführung von Mitbestimmung in der Schwerindustrie, der Garantie von Vollbeschäftigung, Ausweitung der Genossenschaften muss die Kunst der Zukunft an die linke Materialästhetik eines Realismus anschließen. Der Künstler der Zukunft stellt sich in den Dienst der Allgemeinheit, schafft Gegenstände des täglichen Gebrauchs mit langer Haltbarkeit, also eine Kunst, die beseelt, heilt, solidarisch und proletarisch ist und Entfremdung, Unterdrückung und Ausbeutung beendet.

Nach dieser Vorstellung von Vorgestern fällt einem unwillkürlich der böse Spruch der 68er ein: Trau' keinem über dreißig! Wie es sich so fügt: Jost Hermand ist Jahrgang 1930 und damit sicher kein Revolutionär mehr; aber vielleicht ein skurriler Zeitzeuge vergangener Träume.

Nach der Postmoderne

Ästhetik heute

Von Jost Hermand

Böhlau Verlag, Köln 2004

192 Seiten, kart., e 20,50

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