Werbung
Werbung
Werbung

16-Jährige kehren ihrer Welt den Rücken und tauchen unter, in Birgit Vanderbekes neuestem Roman.

Sweet sixteen. Süß ist hier nichts, wie der Titel dieses Buches vielleicht suggerieren könnte. Weder die Jugendlichen, um die es hier geht, noch ihr zartes Alter. Denn der sechzehnte Geburtstag wird in Birgit Vanderbekes neuem Buch sichtlich zum Alptraum vieler Eltern, zu einer zeitlichen Schwelle, vor der sie regelrecht zu zittern beginnen.

Welle des Verschwindens

Den Anfang macht der stille, introvertierte Markus Heuser. Nichts Besonderes scheint vorgefallen zu sein, er feiert mit der Familie seinen Geburtstag, samt obligater Gummibärchentorte, auf der sich seit den Kindheitsjahren nur die Anzahl der Kerzen geändert hat. Und nichts, schon gar nichts deutet darauf hin, dass er am Abend nicht mehr nach Hause kommen würde. Die "Ermittlungen verlaufen im Sand", und mit der Zeit werden ähnliche Fälle bekannt. Eine Welle des Verschwindens Sechzehnjähriger überrollt das Land, "eine Flucht in die Wirklichkeit"?

Zwischen Eltern und ihren heranwachsenden Kindern glüht bekanntlich eine besondere Emotion. Wenn dieses Phänomen den Plot bestimmt, tut sich eine seltsame Schwingung auf. Birgit Vanderbeke nimmt sich dieses Themas nur indirekt an und zieht zwei straff gespannte Erzählfäden durch die Handlung. Zum einen sind da die Computer-Kids, die im Netz beheimateten Jugendlichen, zügellos im Medien- und Fernsehkonsum, deren Gros nie direkt zur Sprache kommt. In ihre Gedankenwelt gewinnt man als Leser nur vermittelt Einblick, nämlich durch Josha. Er ist fünfzehn und "Lieferant für alles, was angesagt" ist. Josha repräsentiert das Lebensgefühl der nächsten Generation. Das hat jetzt nichts mehr mit Tamagochis, Game-Boys oder Schritt-in-den-Knien-Hosen zu tun, sondern die echte Coolness wird diffiziler, nicht mehr klar fixierbar ausgelebt.

Alles, was angesagt ist

Das zweite Erzählfeld wird von einem Ich-Erzähler beschritten. Er geht schon auf die 50 zu und arbeitet gemeinsam mit der Praktikantin Saskia - sie ist Joshas Halbschwester - und Roman in einem Büro für Trendforschung. Als Josha einmal mit einem hellblauen T-Shirt in der Tür steht, das die Aufschrift free your mind / Sweet sixteen trägt, schrillen für Saskia die Alarmglocken. Eine

fieberhafte Suche nach Labels beginnt, das kollektive Abhauen der Jugendlichen ist zu einem Trend geworden. "Sie haben eben einfach die Schnauze voll", so der Kommentar, der die Frustration ewiger Generationskonflikte widerspiegelt. Ominöse Geruchsattacken schleichen sich in die Handlung, das Vorgehen der Polizei gegen die untergetauchten, unauffindbaren Jugendlichen wird aggressiver, während die Trendforscher mit nahezu kriminalistischem Spürsinn der neuen Welle auf den Grund zu kommen suchen.

Bodenlos

Als Leser versucht man während der Lektüre vergeblich, den roten Faden für das zu finden, worauf diese neue Bewegung der Jugendlichen eigentlich zusteuert, sie bleibt bis zum Schluss konturen-, ja ziellos. Diese jungen Menschen steigen nicht auf die Barrikaden, sondern verschwinden einfach im Nirgendwo.

Das breiter zu skizzieren, wofür sie stehen, woran sie glauben und wovon sie träumen und leben, wäre ein wichtiges Stück Reflexionsarbeit, die nur in Ansätzen geleistet wird. So haftet diesem Geruch der Freiheit etwas Bodenloses an. Indem die Triebfeder des Verschwindens leise Rebellion bleibt, wird die Geschichte zu einem Vexierspiel, das sich mit Andeutungen begnügt. Gelungen sind Vanderbeke zweifellos die fixe Verstrebung der digitalen Medien mit Mainstreams und Codes, die sich als "Netzpidgin" manifestieren. Dass die Jugendlichen auf die emotionale Gleichgültigkeit der Erwachsenen global mit räumlicher Distanz reagieren, gibt der Story jedoch einen skurrilen Touch.

Sweet Sixteen

Von Birgit Vanderbeke

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2005

140 Seiten, geb., e 16,90

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung