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Ohne überlieferten Schlachtruf

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UM KRONE UND REICH. Die TragSdie des letzten Habsburg-erkaisers. Von Gordon ßrook-Shej.hfird. Übersetzung von Johannes EidPtz; Titel des Originals „The last Habsburg4. 400 Seiten, 32 Bildseiten. Verlag Fritz Molden, 1968. Preis 160 S.

Es ist dem Autor unverborgen, daß sich das Interesse der Leserschaft nicht so sehr seinem Text als den neuen Quellen ersten Ranges zuwenden muß, die sein Buch bringt. Es gibt deren eine Reihe, alle beachtlich, besonders interessant die Briefe aus dem königlichen Archiv von Windsor; doch nichts kann an Bedeutung mit den Erinnerungen der Teilhaberin dieser Ereignisse — der Kaiserin Zita verglichen werden. So wertvoll sind diese Augenzeugenberichte, daß der Geschichtsfreund innigst bedauern muß, wenn die Kaiserin nicht systematischer befragt worden ist; so hätte wohl manches ergänzt werden können. Und das wäre gut gewesen. „Der Gedanke, eine endgültige Biographie Kaiser Karls zu schreiben“ (S. 10), scheint uns nämlich nicht erfüllt zu sein, auch abgesehen von der Frage, ob eines Tages das letzte Wort zu diesem Thema von den Bollandisten zu sagen sein wird. Es war gewiß ein ausgezeichneter Gedanke, einen Fremden, einen Engländer zu dieser Arbeit aufzufordern. Ein Mensch aus österreichischen Landen wäre mit irgendeinem anerzogenein Schlachtruf an die Arbeit gegangen — „Die Radfahrer sind schuld!“ — „Die Briefträger sind unser Unglück! oder „Tod den Friseuren!“ — und hätte jedenfalls über die Hauptfrage: War der Umsturz ein Glück oder ein Unglück? seine Ansicht eingestehen und gegen den Nächsten polemisch verteidigen müssen. Ein Fremder kann objektiv erzählen, als ginge es um den Fall der Mandschus. Anderseits ist dem Autor, trotz aller persönlichen Bindungen an Österreich, bestimmt manches fremd geblieben. Wir sind zwar überzeugt, daß er sich mit der allzu kurzen Biographie selbst verleumdet, daß er viel mehr Memoiren und auch die nur allzuvielen Publikationen der Sukzessionsstaaten über den Umsturz gelesen hat. Immerhin gibt es Themen, die der ‘ Eingeborene wohl besprochen hätte. Zum Beispiel im Aüstria- cis: Im Namensregister fehlt der Name Sieghart, an den sich cjoch ein sehr folgenschwerer Konflikt knüpfte. In Hungaricis: Wir lesen, wie im Oktober 1918 in Debrecen dem Kaiser zugejubelt wurde — wir erfahren nicht die sehr bezeichnende Ursache des Jubels. In Bohemicis: Die im Oktobermanifest 1918 enthaltenen Bestimmungen zugunsten der Deutschböhmen werden besprochen, nicht aber die Krönungsabsichten des Monarchen; dadurch wird ein wesentlicher Zug im Bildnis undeutlich. Und so bleibt zu hoffen, daß es noch mehr, vielleicht ausgedehntere Werke über Kaiser Karl geben wird, welche die bisherige Literatur verwerten, aber auch kritisieren, revidieren werden. Dem Andenken des Dargestellten kann es, weiß Gott!, nicht schaden.

Neben den unschätzbaren Quellen und den bedeutsamen Schilderungen kann der aufmerksame Leser natürlich auch unterhaltsame Details entdecken. Ein Kleinod ist zum Beispiel der Satz, wonach unter Kaiser Karl Graf Berchtold nur die Pflichten seines Hofamtes hatte, „die er jedoch gewissenhaft und offenbar auch durchaus zufrieden erfüllte“. (S. 202.) Dieses „jedoch“ verrät, daß der Autor vorausgesetzt hat, ein jeder Mensch, der einmal an einem Ministerium geleckt hat, müßte seither ruhelos bestrebt sein, wieder unbedingt Minister zu werden; es kommt ihm sonderbar vor, daß Berchtold nach 1914 keinen solchen Wunsch hegte…

Die Übersetzung weist nur ganz wenige Mißverständnisse auf. Auch müßte S. 200 von Preßburg, der „nachmaligen“ Hauptstadt der Slowaken, die Rede sein; vor dem Umsturz war die wirkliche Hauptstadt der Slowaken St. Martin, und Preßburg war eine Stadt mit durchaus gemischter Bevölkerung.

Den Geschichtsfreunden bereitet das Erscheinen dieses Buches natürlich die größte Freude, den Ge schichtsforschem dagegen wird es einige Arbeit bereiten. Die hier freigelegten Quellen müssen nun benützt werden, um vieles von der bisherigen Literatur zu kontrollieren, zu rektifizieren. Schon das läßt uns erwarten, daß es neue Arbeiten über den letzten Bundesmonarchen von Mitteleuropa geben wird. Das darf aber kein Grund sein, nur auf die kommende Literatur zu warten, sondern jeder, dem es nur möglich ist, soll aus diesem Band seine Kenntnisse unserer Vergangenheit ergänzen.

Es ergeben sich dabei sonderbare Gegenüberstellungen. Gegenwärtiger Rezensent hat auch Ilsemanns Erinnerungen an das Leben Wilhelms II. in Doorn zu lesen gehabt. Auch dort war die Rede davon, daß der verbannte Landesfürst überraschend heimkehren könnte. Aber Wilhelm lehnte die Benützung eines Flugzeugs ab; das war zu riskant für einen Mann wie ihn: „Et qui non est pastor.“ Er ist denn auch als Achtziger in seinem Schlosse gestorben.

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