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Elke Schmitters Roman "Veras Tochter": ein auto(r)-ironisches Verweisspiel.

Welche Frau kennt ihn nicht - den Friseursalon als Zufluchtsort vor den Zumutungen des Lebens, aber auch als Ort des Schreckens, ja der "regelrechten Katastrophe"? Der Blick in den Friseurspiegel riss Beatrix, die Protagonistin in Ingeborg Bachmanns Erzählung "Probleme Probleme" (1972), aus ihrer RENÉ-Welt und ließ die Fassade ihres Lebens aus Schlaf, Styling, Klatsch und einer lustlosen Affäre mit einem verheirateten Mann zerbröckeln.

Nicht der narzisstische Spiegelblick und ein verpatztes Make-up sind es, die die Ich-Erzählerin in Elke Schmitters Roman aus der Bahn werfen, sondern es ist - postmoderner Running Gag - die Literatur, die Katherina - eine therapieerfahrene Enddreißigerin mit Übersetzer-Diplom, bescheidenen Karrierewünschen und einem Intimleben ohne Höhepunkte - aufschreckt und irritiert. Während "fremde Finger" ihren Kopf massieren, ein "Sascha oder Daniel weiter mit seiner Schere hantierte", und Katherina sich an libidinös besetzte Berührungen, an Robert, ihre plötzlich verschwundene Jugendliebe, und an ihre lieblose Mutter erinnert, fällt ihr Blick auf den Lesetipp eines Hochglanzmagazins, auf Elke Schmitters Bestsellerroman "Frau Sartoris". Das auto(r)ironische intertextuelle Verweis-und Verwirrspiel kann beginnen.

Katherina sieht sich mehr und mehr von der mit einem Kriminalfall endenden Ehe-und Betrugsgeschichte in den Bann gezogen, die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion beginnen zu oszillieren: "Es war ein Schlag in die Mitte, einmal und tief, von einer riesigen Faust geführt. [...] das konnte kein Zufall sein." Denn sie erkennt in Vera Sartoris, die für kurze Zeit eine obsessive amour fou lebt, nach dem gescheitertem Ausbruch aus ihrer unglücklichen Ehe in den Alkohol flüchtet und den Liebhaber ihrer Tochter überfährt, und in Veras Tochter sich selbst und ihre Mutter wieder. Schlagartig wird ihr bewusst: Robert, der Revolutionsträumer und RAF-Sympathisant, ist Opfer eines rachsüchtigen Mordanschlags ihrer enttäuschten Mutter geworden!

Die Romanlektüre wird Katherina - sie nimmt höchst beunruhigt Brief-Kontakt mit der Autorin auf - zur schmerzhaften Erinnerungsarbeit und bestätigt ihr die emotionalen Leerstellen im Leben: Das Gefühl, von der Mutter nicht geliebt worden zu sein, das Gefühl, seit dem Verlust ihrer ersten Liebe emotional zu verarmen. Literatur als Sentimentalitätsgenerator? Die Reflexionen über literarische Fiktion und Wirklichkeit, wie sie der fingierten Briefwechsel mit der Autorin präsentiert, bieten auffallend wenig Neues, und der versteckte Querverweis auf den Literaturskandal rund um Maxim Billers Roman Esra (2003) ist mehr als offensichtlich. Muss die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Leben notwendig in die Banalität münden? Schmitters Roman bietet diese Lesart an, die literarische Umsetzung wirkt letztlich aber doch zu durchschaubar. Auch die Figurensprache, der salopp-umgangssprachliche Ton, vermag die Protagonistin nicht so recht zu konturieren.

Am einprägsamsten sind jene Passagen, wo Katherina die erstickende kleinstädtische Enge, Langeweile und Prüderie der 60er und 70er Jahre schildert. Hier werden Lebensverletzungen spürbar, und hier wird noch in anderer Weise auf Frau Sartoris Bezug genommen. Der Fokus ist jetzt auf die unerfüllten Sehnsüchte und Verhinderungen der Töchter Veras gerichtet, auf jene desillusionierten Nachachtundsechzigerinnen, die sich aus anderen Gründen als ihre Mütter der Nachkriegsgeneration in einem biedermeierlichen Leben ohne (Liebes-)Utopien eingerichtet haben.

Veras Tochter

Roman von Elke Schmitter

Berlin Verlag, Berlin 2006

175 Seiten, geb., e 16,50

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