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An der Wende von 14. bis 15. Jahrhundert soll der spanische Dominikanermönch Vinzenz Ferrer im Laufe seiner zwanzigjährigen Predigertätigkeit mehrere Millionen Zuhörer gehabt haben. Auch andere Predigerpersönlichkeiten haben im Mittelalter große Volkmengen angezogen und veranlassen den Wiener Sozialwissenschafter Michael Mitterauer in seinem Buch "Warum Europa?" zu dem Resümee: "Zur Massenkommunikation tendierte mittelalterliches Predigtwesen überall dort, wo es zu besonderen Predigt-Kampagnen kam."

Ein entscheidender Wendepunkt dabei war die Kreuzzugspredigt. Andere Predigt-Kampagnen folgten, unter anderem zur Förderung des Ablasswesens. "Man kann in ihnen Frühformen der Öffentlichkeitsarbeit sehen", schreibt Mitterauer. Und für den Charakter dieser Predigten als Vorläufer heutiger Massenkommunikation war für ihn weniger der massenhafte Besuch mancher Predigtveranstaltungen entscheidend "als vielmehr die überregionale Koordination von Einzelpredigten auf eine bestimmte Zielsetzung".

Die besondere Dynamik des mittelalterlichen Predigtwesens in der Westkirche führte weiters zu kulturellen Abgrenzungen nach außen: gegenüber der Ostkirche und gegenüber dem islamischen Raum. Ein Abgrenzungsprozess, der sich mit der Entwicklung und Verbreitung des Buchdrucks im Einflussbereich der westlichen Papstkirche noch verstärkt.

Unter den materiellen Voraussetzungen für das Aufkommens des Buchdrucks in Europa nimmt, laut Mitterauer, die massenhafte Verbreitung von Papier eine Sonderstellung ein. Diese wurde wiederum erst durch die Nutzung der reichlich vorhandenen Wasserkraft ermöglicht. Aber auch der islamische Kulturraum übernahm mit großem Enthusiasmus den Beschreibstoff Papier von den Chinesen, vergleicht Mitterauer, "die durch ihn ermöglichte gedruckte Schrift lehnte er jedoch kategorisch ab" - der islamische Raum blieb deswegen bis ins 18. Jahrhundert ohne Druckerei. In China stand der Entfaltung einer Massenkommunikation auf der Basis gedruckter Schriften das komplizierte chinesische Schriftssystem entgegen.

Ein wichtiger Vorläufer für Johannes Gutenbergs Buchdruckmaschinen dürften die Prägemaschinen von den zu Tausenden benötigten Wallfahrtsabzeichen gewesen sein. Die Massenkommunikation im Bereich der Verwaltungstätigkeit wiederum ermöglichte erst neue Formen der Staatlichkeit - nicht zu vergessen das Schulbuch: Denn die für Europa lange prägende "Staatsnation wird nicht zuletzt in der Schulklasse begründet". WM

Nächste Woche Teil 6: Europäisches Sozialmodell.

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