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Robert Michel

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Am 28. Februar 1946 beging der Dichter Robert Michel seinen siebzigsten Geburtstag. In dem böhmisdien Dorfe Chaberic an der Sazava geboren, wandte er sich zunächst dem Offiziersberuf zu, der ihm in den Garnisonen von Wien, Mostar, von Innsbruck und Graz bleibende Eiridrücke für sein dichterisches Schaffen vermittelte. Der erste Weltkrieg verlangte von Michel die Erfüllung seines Soldatenberufes, zugleich aber auch die Erfahrung, die er als Dichter und Schriftsteller gesammelt hatte; im Auftrag des Kriegspressequartiers bereiste er weite Teile der russischen und serbischen Front, wurde der österreichischen diplomatischen Mission für die okkupierten Teile Polens zugeteilt und kämpfte dann an der italienischen und an der russischen Front. Schließlich wurde er vom Armeeoberkommando als Leiter einer Filmexpedition nach Bosnien entsandt. Als Michel im Juli 1918 nach Wien zurückkehrte, wurde er vom Generalintendanten der Hoftheater zusammen mit Hermann Bahr und Max Devrient in das leitende Dreierkollegium des Burgtheaters berufen, das sich unter dem Druck der Verhältnisse aber bald wieder auflöste. Nach seinem' Ausscheiden aus der Burgtheaterleitung widmete sidi Robert Michel, der als Major in den Ruhestand getreten war, ausschließlich seinem Schriftstellerberuf, dem der Unermüdliche auch heute noch dient. — Die Fülle von Novellen und Erzählungen, Dramen und Romanen überragen die beiden Hauptwerke „Die Häuser an der Dzamija“ und „Jesus im Böhmerwald“ als Höhepunkte eines dichterisdien Schaffens, das eine Brücke schlägt von der alten österreichischen Monarchie und der ersten Republik zu unserem neuen Staat.

Robert Michel stand in seiner Jugend dem Kreis um Hofmannsthal und Hermann Bahr nahe; er ist ihm innerlich sein ganzes Leben lang treu geblieben, ohne dieser Verbundenheit seine eigenste persönliche Art zu opfern; diese neigt im wesentlichen einem beseelten Naturalismus zu, der ihn seinem großen Landsmann Adalbert Stifter verwandt erscheinen läßt.

Michels Stellung zur Natur beruht auf zwei Voraussetzungen: seinen Kindheitserlebnissen und seinem soldatisdien Beruf. Michel konnte seine Knabenjahre auf dem Lande verleben; das freie Umherschweifen ließ den Knaben vertraut werden mit allen Erscheinungen der belebten und unbelebten Natur; diese Vertrautheit findet sich bei vielen seiner Gestalten und deutet dort auf autobiographische Züge hin. Sein Soldatenberuf bradite ihm aus der südslawischen Landschaft entscheidende Eindrücke.

Im Vordergrund von Michels Naturdichtung steht die Liebe zu jeglicher Kreatur. Liebe und Mitleid zu Tieren sind vielfach auch die Themen von Michels „Geschichten von Insekten“, mit denen er seinen Beitrag zur modernen Tierdichtung leistet. Mit der Liebe zu Tieren und Pflanzen als einer Haltung, die aus der reinen Einfalt des Herzens kommt, stattet Michel häufig sein Knabengestalten aus. • Das rührendste Beispiel hiefür stellt wohl der Knabe im „Jesus im Böhmerwald“ dar. Wenn aber Menschen das Gebot der Liebe gegen Tiere und Pflanzen verletzen, läßt Michel die Natur selbst als Rächerin aufstehen, um die Frevler grausam zu bestrafen. Dabei geht es ganz mit natürlichen Dingen zu; der Dichter stellt es dem Leser anheim, an Zufälle oder an eine sinnvolle Tat ausgleichender Gerechtigkeit zu glauben, wenn Ameisen zum Beispiel auf zwei Knaben, die mutwillig ihren Bau zerstörten, tödliches Leichengift übertragen oder wenn ein Weiher eine Badende, die sich gegen seine Geschöpfe gedankenlos und grausam verging, in seine Tiefe zieht.

Eingehende Naturbetrachtung lenkt die Gedanken eines religiösen Menschen folge-* richtig auf Gott. Für Michel ist es in besonderen die Vielfalt in der Natur, diel ihm das Walten Gottes offenbart. Dieser Gedanke wird auch im Roman „Jesus ins Böhmerwald'“ ausgesprochen.

Untersucht man die Funktion der Landn Schaftsschilderung im dichterischen Schaffen Michels, so kann man beobachten, daß sich diese nach Landschaften verschiebt. Im südslawischen Stoffkreis, beispielsweise in dem Roman „Die Häuser an der Dzamija“, bildet die Landschaftsschilderung einen wesentlichen Faktor, um den Gcsamt-charakter dieses Landes, der sich aus den Merkmalen von Land und Leuten zusammensetzt, sinnfällig zu erschließen. Michels Beschreibung zielt daher darauf hin, aus der Schilderung der besonderen Landschaft den Leser zum besseren Verständnis der Bewohner und ihres Kulturzustandes zu führen. Mensch und Landschaft bilden eine Einheit. Auch in der Böhmerwaldlandschaft erscheinen Mensch und Landschaft in schicksalhafter Verbundenheit, und wiederum ganz besonders deutlich in Michels Hauptwerk „Jesus im Böhmerwald“; mit der Beschreibung der äußeren Erscheinung des wunderbaren Knaben deutet der Dichter an, daß er ihn als Teil des Waldes und ihm ganz zugehörig sieht.

'Eine Betrachtung der Landschaft bei Michel muß notwendig in einem Vergleich mit seinem Landsmann Adalbert Stifter gipfeln. Beide schöpfen die Liebe zur Natur zunächst aus der Heimat ihrer Jugend, wo sie im Umgang mit der • Natur Eindrücke sammelten, die in ihrem ganzen späteren Leben und Schaffen nachwirkten. Schon diese erste Parallele hat zwei gleichlaufende Spuren in ihren Werken hinterlassen: Wie die Knabengestalten in ihrem Verhältnis zur Natur bei Michel autobiographische Züge tragen, so auch bei Stifter, so daß zwischen dem Heideknaben im „Heidedorf“ und dem Knaben im „Jesus im Böhmerwald“ innere Beziehungen bestehen. Zudem sind Stifter und Michel einander verwandt als Künder der Schönheiten des Böhmerwaldes und darüber hinaus solcher Landschaften, die für ihre Zeit österreichisch waren. Der geistige Mittelpunkt ihres Lebens und Schaffens aber ist 'dennoch Wien.

Die Gabe der Erfindung wurde beiden Dichtern nicht in vollem Maße zuteil, wohl aber die Ca-be, den Reiditum der Erscheinungen der Wirklichkeit getreu nachzuzeichnen und sie trotz des unbedingten Realismus in das Reich der Poesie zu erheben. Michels Vorliebe für die Kleinmalerei entbehrt im Gegensatz zu Stifter der weltansdiaulichen Zielsetzung, wie sie jener in seiner Vorrede den „Bunten Steinen“ mit auf den Weg gibt, und es fehlt ihr die Stiftersche Konsequenz, nämlich die Verbannung der Leidenschaften aus dorn menschlichen Leben, die in dem Satz gipfelt, daß „Leidenschaft immer unsittlich sei“. Michel folgt Stifter nicht in dessen Theorie vom Großen und Kleinen; in seinem Werk steht Großes und Kleines nebeneinander: die sorgfältigste Beschreibung eines winzigen Insekts neben der Darstellung großartiger Naturereignisse, die zarteste Seelenstudie neben ungehemmter Leidenschaft; ein ihn nie verlassendes Ebenmaß in der Dar Stellung überbrückt aber diese ungeheuren Gegensätze und läßt das Große klein und das Kleine groß erscheinen, w.omit er auf Umwegen Stifters Ideal von der Einfachheit und Ruhe nahekommt.

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