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Satyrspiel des Idealismus

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Weil sich in Ibsens Tragikomödie Die Wildente“ zwei Beschränkte begegnen und ihren irregeleiteten Willen auf das Entrümpeln von Lebenslügen richten, was sich in einem halbgaren idealistischen Phrasengeschwätz kundtut, stürzt eine Welt ein und geht ein liebenswertes Geschöpf, die vierzehnjährige Hedwig, zugrunde. Der eine ist Gregers Werle, Verfechter idealer Forderungen, Fanatiker der Wahrheit und trotz aller brennenden Inbrunst seines Auftrags kalt im unmittelbaren Gefühl von Mensch zu Mensch; der andere ist Hjalmar Ekdal, hinreißender, aber auch von sich selbst hingerissener Poseur der Lebenstüchtigkeit. In beiden sah sich Henrik Ibsen, ist seine Komödie Gerichtstag über sich selbst, Abrechnung mit der eigenen Haltung gegenüber der Welt und ein skeptisches Nein gegenüber dieser Haltung. Durch die Existenz der beiden und des verkommenen Zynikers Doktor Relling wird das Spiel durchscheinend auf die Fragen hin: Was ist Glück? Was nützt Wahrheit? Scheitert wirklich die Erziehung der Menschen zur Wahrheit und Freiheit daran, daß das Leben die Lüge, den Schein weit nötiger braucht als die Erfüllung der idealen Forderungen, zu der die Menschen gar nicht fähig sind? Die Fragen bleiben offen, die Gegensätze unversöhnt.

Gewiß: Lüge, Heuchelei, Vorurteile, Gemeinheit, Betrug und Selbstbetrug sind nicht aus der Welt verschwunden. Aber die Lebensprobleme, welche die Menschen Ibsens bedrängen, sind in ihrer Art nicht mehr die unseren, ihr Tonfall trifft nicht ganz unser Ohr, die große Konstruktion wird vom Gewicht der Zeitkulisse erdrückt. Aber das Menschliche (und die Menschlichkeit), das hinter all dem das geheime Leben seiner Kunst trägt, geht uns immer an. Zudem war Ibsen einer der großartigsten Dramentechniker, den die Literatur je hervorgebracht hat. Das zeigt schon, wie er die Szene eröffnet und das Problem einkreist, bis es kein Entweichen mehr gibt. Oder wie er das Symbol ganz in den Stoff hineinnimmt: die Wildente, flügellahm, zahm und fett, ist Symbol für den Verlust der Lebensunmittelbarkeit und zugleich Motiv der Handlung. Und schließlich war Ibsen ein unvergleichlicher Schöpfer dramatischer Charaktere. Die Gestalten der großen Schauspieler und Schauspielerinnen aus dem ersten Drittel unseres Jahrhunderts sind vor allem in Rollen Ibsens im Gedächtnis geblieben. So ist ihm mit Hjalmar Ekdal, dem müßigen Schönredner und Menschen ohne Wesen, detrsich glücklich fühjt jn seine . Selb iv täuschupg,, mehr noch alf mit dem verwandten Peer Gynt ein in sich vollkpm- mener, zeitloser Typus gelungen.

Eine Inszenierung der „Wildente“ stellt hohe Anforderungen an Regie und Schauspieler. Ibsens Gestalten verlangen die Kunst der Darstellung und eine jedem Pathos ferne unbedingte Genauigkeit des Ausdrucks und des Tons. Der Plüsch der Entstehungszeit (1884) müßte möglichst unsichtbar bleiben und eine Art zeitlose Vergegenwärtigung angestrebt werden. Die Aufführung im Volkstheater unter der Regie Leon E p p s war gewiß nicht die beste der möglichen. Dazu war die Kraft und Präzision des Anteils der einzelnen Darsteller zu ungleichmäßig. Heinrich T r i m b u r als Hjalmar Ekdal war um etliches zu komödiantisch und gestenreich, selbst in den Augenblicken der Empfindsamkeit und Schwermut, die ja Hjalmar auch zu eigen sind. Aladar K u n r a d als Fanatiker Gregers wirkte stellenweise wie ein verkrampfter, mit eingezogenem Rük- ken umherschleichender Intrigant. Benno S m y 11 war der eher gutmütige als verbitterte Großvater, Edd Stavjanik der vernünftelnde Dr. Relling und Hans R ü d g e r der schuldbeladene, aber wenig schuldbewußte Großhändler Werle. Die Frauen schnitten besser ab. Die wichtigsten weiblichen Rollen waren mit Traute W a s s 1 e r (Gina). Maria Urban (Frau Sörby) und Erika Mottl (Hedwig) besetzt. Die Intensität dieser blutjungen Theaterdebütantin — weder Teenager von heute noch Backfisch von damals — ergriff als Innbild reiner Kinderseligkeit unmittelbar.

In den Wiener Kammerspielen gab es das amerikanische Lustspiel „Sonntag in New York“ von Norman K r a s n a zu sehen und zu hören. Eine recht dürftige Handlung — ein junges Mädchen; müht siph um .theoretische und praktische , Liebeserfahrungen wird durch eine Art Requisitenballett, viel Musik und Tanz und völlig belangloses Gerede ausgefüllt. Daß sich so vieles geschmacklos plump anhört, scheint auf das Konto des deutschen Bearbeiters zu gehen. Erwähnenswert Peter Vogel als rührend schlacksiger, humorvoller Bewerber, der bei der jungen Dame am Ende sogar den Millionär aussticht. Man möchte diesen Schauspieler in einem besseren Stück Wiedersehen. Gertraud Jesserer spielt gewinnend das erfahrungslüsterne Mädchen. Regie führt Edwin Z b o n e k. Die hübschen Bühnenbilder stammen von Peter Hadfy-Kovacs. Ein Teil des Publikums unterhielt sich sichtlich.

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