Straßen voll Menschenblut

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Ladislav Tazkys "Wiener Blut" überzeugt als Zeitdokument, nicht aber als Roman.

Ich werde zornig. Wozu machen wir diese sinnlose Arbeit? Wer wird sie mir bezahlen? Herr Bürgermeister, hören Sie? Ich weiß gar nicht, wie Sie heißen, ich weiß nur, wo Ihr stolzes Rathaus steht ... Einmal ... einmal werde ich Ihnen die Rechnung präsentieren, für die Keile, für den Tunnel, für die Bergmannsschufterei." Matusch Zraz ist 20 Jahre alt, slowakischer Korporal, Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter in Wien vom November 1944 bis April 1945. Die Arbeitskompanie, der er angehört, wird in den Simmeringhof einquartiert.

Der als Kartograf ausgebildete Ich-Erzähler Zraz vermisst in seinem Bericht die Orte der Zerstörung - Südbahnhof, Arsenal, Saurer-Werke, Kriegsministerium, Prater, Burgtheater. Er und seine Kameraden werden eingesetzt, um Tote zu bergen und zu begraben, Trümmer zu beseitigen, einen Tunnel zu bauen. Ständig sind sie dabei selbst in Lebensgefahr, finden nicht in jeden Luftschutzbunker Einlass. Erst als die Front näher rückt, werden die Slowaken für die Bevölkerung und auch für ihre Bewacher wichtig als potenzielle Fürsprecher bei den gefürchteten Russen. Bei allem Grauen, das Zraz erlebt, denkt er immer daran, wie er später zuhause am Oberen Hron von seinen Erfahrungen erzählen wird. Und es ist der Gedanke an diese zukünftige Erzählung, in der er die Vergangenheitsform verwenden können wird, der ihm hilft zu überleben.

Ladislav Tazky bezeichnet sich selbst im Vorwort zu "Wiener Blut" als "Vorbild" für seinen Helden und verweist auf autobiografische Parallelen. Dass der Roman so spät auf Deutsch erscheint, liegt wohl nicht nur am Publikationsverbot Tazkys in der CSSR. Slowakische Literatur hat bis heute auf dem deutsch-österreichischen Markt einen schweren Stand. So nachvollziehbar nun einerseits die Entscheidung für die Publikation von "Wiener Blut" ist, für diesen Roman kommt sie zu spät. Er ist als zeitgeschichtliches Dokument von Interesse, literarisch ist er es nicht. Befremdlich an den durchgängig im Präsens gehaltenen Schilderungen des Korporal Zraz ist vor allem das angejahrte Pathos und der an manchen Stellen landserhafte Ton: "Wenn Menschenhände den Glocken und Sirenen die Kehlen zudrücken, verstummen sie, an ihrer Stelle hallt dann Weinen durch die Stadt. Alle Münder, Kehlen, Augen, Herzen weinen in gleicher Weise. {...} Wien weint, seine Straßen sind voll Menschenblut."

Wiener Blut

Roman von Ladislav Tazky

Aus d. Slowak. v. Gustav Just

Mandelbaum Verlag, Wien 2004

285 Seiten, geb., e 18,40

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