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VON NEUEN BÜCHERN

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Der neueste Roman Graham Greenes: Der Ausgangspunkt (Paul-Zsolnay-Verlag, Wien. 347 Seiten) wird viele Leser mit Entsetzen erfüllen. Es ist die Geschichte eines Ehebruchs. Die Hauptpersonen der Handlung sind: der englische Schriftsteller Maurice Bendrix, völlig glaubenslos. Der britische Staatsbeamte Henry Miles. Und seine Gattin Sarah, Geliebte des ersteren. Als zweijähriges Kind katholisch getauft, dann aber völlig glaubenslos aufgewachsen: Eine Menge von Nebenpersonen, jede besser gezeichnet als die andere, beherrschen die Szene. Zeit und Ort der Handlung: London während des zweiten Weltkrieges. Während einer schauerlichen Bombennacht, da Sarah glaubt, daß ihr Geliebter von den V - Geschossen erschlagen wurde, betet sie plötzlich: „Lieber Gott, mach mich glauben. Ich kann nicht glauben. Aus eigener Kraft kann ich es nicht tun. Darum mach Du midi glauben. Ich werde ihn für alle Zeit aufgeben. Nur gib, daß er noch lebt, noch eine Chance hat.“ Zu ihrer großen Verwunderung bleibt Bendrix wirklich am Leben. Und getreu ihrer Bitte, verläßt sie ihn. Und beginnt ihren Weg zu Gott. Und fügt Bendrix einen so maßlosen Schmerz zu, daß er jenen, der ihn von ihr wegzieht, zu hassen beginnt. Da man aber etwas Nicht-Existentes nicht hassen kann, beginnt so sein Weg zum Glauben an Gott.

Der Roman wird viele Leser mit Schrecken und Entsetzen erfüllen. Denn er enthält nicht nur viel Grauen, er schildert die Sünde oft in einer Art, die man vielleicht mit „degoutant“ bezeichnen könnte. Er schildert die Dämonie in einer solchen Nacktheit und Schamlosigkeit, wie sie in der englischen Literatur außer bei Shakespeare vielleicht nicht mehr anzutreffen ist. Aber eines ist zweifellos das Plus dieses „Greene“: es schildert die Sünde ohne jede Romantik. Es zeigt, daß es keine Ästethik der Sünde gibt. Es gibt nur eine Dämonie der Sünde. Die Sünde ist immer schamlos. Die Sünde ist immer schrecklich. Die Sünde ist immer furchtbar: weil sie eine unendliche Beleidigung der Majestät Gottes darstellt. In aller erdenklicher Kraßheit wird dem Leser das Grauenhafte der Sünde vor Augen geführt.

Das ist das eine große Verdienst des Buches. Es hat noch andere. Wie wenige katholische Schriftsteller kann Greene ganz Fernstehende mit den wichtigsten katholischen Glaubenssätzen bekanntmachen. Ohne Gnade ist der Glaube an Gott unmöglich. Aber dieser Glaube wieder ist ohne Werk tot: „Lieber Gott“, betet Sarah, „laß mich glauben. Ich kann nicht glauben. Aus eigener Kraft- kann ich es nicht. Darum mach Du mich glauben." Aber erst als sie betet: „Ich werde ihn für alle Zeiten aufgeben", beginnt ihr Glauben Leben zu haben. Der Roman verteidigt den Grundsatz „Semei christianus, semper christi- anus" — wer einmal Christ ist, bleibt es immer. „Ein merkwürdiger Zufall, nicht wahr?“ sagt jemand über Sarah. „Wird mit zwei Jahren getauft und fängt allmählich an, zu dem zurückzukehren, woran sie sich nicht einmal mehr erinnern kann.“ Wer getauft ist, lehrt die Kirche, dem ist ein „unauslöschlicher Charakter" verliehen worden. Auch in diesem Roman sind die Katholiken recht mittelmäßige Persönlichkeiten, vor allem auch der einzige Priester. Nur dadurch, daß man genau zwischen Amt und Person unterscheiden muß, kann man sich mit ihm abfinden. „Die Gnade kommt in der Schwachheit zur Vo1!- endung". Diesen Satz des hl. Paulus erlebt der Leser nicht nur an diesem Priester, sondern auch an der Ehebrecherin, die fast als Heilige stirbt. „Ich glaube, daß es einen Gott gibt, und ich glaube auch alles übrige“, betet Sarah knapp vor ihrem Tod. „Ich bin dem Glauben verfallen. Ich habe niemand so innig lieb, wie ich dich geliebt habe. Und niemals so fest geglaubt, wie ich jetzt glaube.“

Nach allem Grauen, aller Dämonie, aller Finsternis ist Gott der unbestrittene Sieger. Ist der Sieger, nicht weil er ein Triumphator, sondern weil er der Geduldigste, Barmherzigste, weil er der Gott der Liebe ist. Er ist der Sieger, weil er allein der Quell aller Freude, aller Hoffnung, aller Gnade ist. Weil nur er das einzige „Licht ist, das in der Finsternis leuchtet“. Und was bleibt, ist Gott. Und durch ihn der Mensch.

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