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Von Rädern und Tätern

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Als Engelbert K. an diesem Spätnachmittag seinen regelmäßigen Rundgang durch die Straßen in seiner Nachbarschaft macht, ist plötzlich etwas anders als sonst. Auf seinem Weg gibt es eine Stelle, an der der behördlich genehmigte Windfang seines Stammcafes an der Häuserseite ein wenig von der Breite des Gehsteigs nimmt. Genau hier wurde vor Jahren an der Straßenseite des Trottoirs, ebenfalls behördlicherseits, eine Halteverbotstafel in den Asphalt gesetzt. Dadurch war nun ein zwar passabler, dennoch bemerkenswerter Engpaß entstanden. Man kann ihn allerdings mühelos sogar mit einem Kinderwagen durchqueren, und noch nie gab es, selbst bei größerer Fußgängerfrequenz, jegliche Komplikation.

I Ieute jedoch geschieht es, daß gerade als Engelbert K. jenen Punkt betritt, ihn ein korpulenter entgegenkommender Mitbenützer der Verkehrsfläche zu einem geringfügigen Ausweichmanöver veranlaßt, und da ist das Malheur schon geschehen. Engelbert K. verspürt an seiner Linken einen kleinen Widerstand, schreitet trotzdem weiter, und ein Biß an seiner Manteltasche ist die nicht vorhersehbare Folge.

Der bis dahin heitere Tag erlebt somit eine wesentliche Verdüsterung, und der aufkommende Zorn richtet sich weniger auf den dicken Passanten, als vielmehr auf ein Fahrrad. Dieses ist nämlich, jetzt erst konstatiert Engelbert K. den Grund des Unheils, an der erwähnten Halteverbotstafel, besser gesagt an deren Haltestange, angelehnt wie auch mit einer Kette samt Vorhängeschloß daran gesichert, hatte dergestalt zur weiteren Verengung des Gehsteigs-Flaschenhalses beigetragen und war Engelbert K. mit dem rechten Griff des Gouvernals in die Tasche des Überziehers gefahren, was letztlich deren Beschädigung bewirkt hatte.

Der Plan reift binnen weniger Sekunden. Engelbert K. weiß, zwei Straßenzüge nur entfernt, ein Fahrradgeschäft. Dieses sucht er auf und kauft dort eine billige, primitive Diebstahlsicherung in Form eines von einem Plastikschlauch umwickelten und mit einer Vierziffernkombination zu versperrenden dünnen Stahlseils.

Zum Tatort zurückgekehrt findet er das Corpus delicti immer noch an der Verkehrsstange vor, befestigt nun seinerseits, zusätzlich zur Sicherungskette, seine eben erstandene Vorrichtung, dreht rasch an den Rädchen des Zahlenschlosses, betritt das Kaffeehaus und setzt sich, das Lokal ist ohnehin nur schwach besucht, an ein Fenster, von dem aus er Fahrrad und Halteschild beobachten kann.

Das Schicksal ist Egelbert K. hold, schon nach zehn Minuten naht der Fahrradeigner und sperrt sein Kettenschloß auf. Als er das Fahrrad mit sich ziehen will, hindert ihn die Sperrvorrichtung Nummer zwei an seinem Vorhaben. Der Verblüffte erkennt die Situation nach einiger Zeit und zeigt sich zunächst verstört. Einen kurzen Versuch, die richtigen Ziffern einzustellen, die dem Rad die Freiheit geben könnten, gibt er bald auf.

Dann jedoch öffnet er das am Sattel des Fahrzeugs befestigte Werkzeugtäschchen, entnimmt ihm eine kleine Feile und beginnt, an Engelbert K.s Apparatur zu hantieren.

Nun überstürzen sich die Geschehnisse. Ein Passant, der Manipulationen des Fahrradbesitzers ansichtig geworden, stellt diesen zur Rede. Die ihm zuteil werdende, für Engelbert K. unhörbare Antwort veranlaßt den hierauf Ergrimmten, einen Wachmann zu holen, der die Rechtfertigungsversuche des Radfahrers mit größter Skepsis vernimmt, diesen trotz oder gerade wegen dessen lebhafter und ungestümer Proteste vorsorglich festnimmt und unter allgemeiner Anteilnahme des inzwischen zahlreichen Publikums abführt.

Hier endet die für Engelbert K. sichtbare Ereigniskette. Als er jedoch nun nach Rezahlung seiner konsumierten Melange wieder ins Freie tritt, erscheint ihm der mittlerweile hereingebrochene Abend in einer angenehmen, freundlichen Helligkeit.

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