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Auf verkehrtem Weg

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O Gott, DM siehst, daß uns jegliche Kraft mangelt; drum behüte uns innen und außen, damit unser Leib vor allem Unheil sicher sei und unser Herz von verkehrten Gedanken rein bleibe.

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O Gott, DM siehst, daß uns jegliche Kraft mangelt; drum behüte uns innen und außen, damit unser Leib vor allem Unheil sicher sei und unser Herz von verkehrten Gedanken rein bleibe.

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(Kircheiigebet vom 2. Fasteįisountag)

Hinter dem Wort von der „pravitas" unseres Denkens, das die Kirche hier statt des sonst zuweilen verwendeten von der „bösen Verkehrtheit" (perver- sitas) gesetzt hat, steht ein Geheimnis der menschlichen Natur, in dessen Dunkel besonders das Jahrhundert der Reformation einzudringen versuchte. Die katholische Kirche hat die radikalen Antworten der Reformatoren zurückgewiesen, die, vom Erbsündeverständnis aus, die Natur des nachparadiesischen Menschen nicht nur moralisch, sondern auch geistig-er- kenntnismäfjig „tofaliter" korrupt sehen wollten. Aber auch die katholischen Christen haben sich der hier aufbrechenden Frage gestellt: der Frage nach der grundsätzlichen Fähigkeit des natürlichen Menschen, Gottes Wesen und Willen auch nur in jenem winzigen Teilgebiet zu erkennen, das für das eigene Leben, seinen Sinn und Ziel bestimmend ist, dessen Verfehlung die Katastrophe bedeutet. Wir können uns freilich hinter eifriger Frömmigkeit verschanzen, uns hinter die Wälle gesicherter Wahrheiten der Schule und Tradition zurückziehen und uns damit trösten, dafj „die Richtung unseres Betens und Handelns schon „so ungefähr" stimmen müsse. Aber es gibt Stunden, in denen uns der radikale Zweifel anfällt: die „absurde” Frage des Camus, die schwindelerregende Angst, dafj das, was wir so treiben, nur wenig mit dem wirklichen Willen Gottes zu tun hat. Gewifj: die

Kirche, die Christenheit als Ganzes hat die Zuversicht, von den Pforten der Hölle nicht überwältigt zu werden, niemals ganz in die Irre gehen zu können. Aber ich selbst? Weif; ich wirklich genau, was der Herr von mir persönlich verlangt? Dem Abraham forderte er die Bereitschaft ab, seinen Sohn als Opfer zu schlachten. Wir wissen überlegen lächelnd, dafj derlei nie von uns gefordert werden könnte, weil dies ja unserem Bild von Gott nicht entspräche und weil es, wie die Moralfheologie so schön sagt, „gute und vernünftige" Gründe gäbe, einen solchen Dienst bei allem Respekt eben zu verweigern. Aber beruhigt uns diese Kenntnis aller Dispensen (etwa jetzt von den Fasfenvorschriffen) wirklich? Nicht, dafj wir skrupulantenhaff in allen möglichen vergangenen oder möglichen Sünden herumwühlen wollten. Es gehf auch gar nicht so sehr um das Negative, die Übertretung. Es gehf um das Positive, um den Entwurf des göttlichen Meisters, den Er von mir in sich trägt und den ich erkennen müfjte. Und nicht allein mit dem Verstand erkennen kann .. . weil „jegliche Kraft mangelt”, auch die des Geistes und der klaren Einsicht in das, was von mir und jetzt, n dieser Stunde, gefordert ist. Aber die grofjen Entscheidungen fallen nicht in der Sphäre der logischen Kalkulationen, sie fallen in jenem Zentrum, das die Kirche in diesem Gebet „Herz" nennt. Augustinus und Pascal haben versucht, deutlich zu machen, was dieses Herz auch für die Erkenntnis bedeutet. Und wie sehr wir gerade in diesem Zentrum unseres Personseins der Hut und Gnade Gottes bedürfen, um nicht in i Irre und Verkehrtheit zu gehen.

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