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Der Krieg als Narrenspiel

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Eine militärische Planungsstelle in den Vereinigten Staaten hatte die Elektronengehirne, die zur Planung eines neuen Krieges eingesetzt werden, mit allen Informationen über den ersten Weltkrieg gefüttert. Die Denkmäschinen sind zu dem Ergebnis gekommen, daß so etwas unmöglich sei. Der erste Weltkrieg kann sich also gar nicht ereignet haben. Schwejk, der tschechische Hanswurst, hatte sich als einzelner dem Unvorstellbaren und Unsäglichen gestellt und den Un-Sinn durch gespielte Dummheit ad absurdum zu führen versucht. Karl Krauä hatte mit der Akribie des fanatischen Wahrheitssuchers in 700 Szenen „Die letzten Tage der Menschheit“ dokumentarisch einzukreisen versucht und die „apokalyptische Posse“ mit dem Pathos des Nörglers kommentiert. Aber Schwejk wie der Nörgler sind im Grunde theaterfremd; der Galgenhumor, die verzweifelte Heiterkeit, der Witz über das Gräßliche, der tödliche Ernst kommen erst gelesen oder rezitiert zur vollen Wirkung.

Das Londoner Workshop Theater, das mit seinem berühmten Dokumentarmusi-cal „Oh What a Lovely War“ zwei Tage in Wien gastierte, machte den Krieg zum Narrenspiel, das die Wirklichkeit 1964 im Spiegel von 1917 betrachtet. Obwohl alles, was gesungen und gesprochen wird, authentisch ist, auf Leuchtbändern im Hintergrund entsetzliche Statistiken, auf der Filmleinwand historische Photos geboten werden und sogar militärische Berater bei der Inszenierung der dokumentarischen Revue mitgewirkt haben, treten die Figuren als Pierots und Pieretten auf. Sie hopsen und spaßen, singen und tanzen in ihren Rollen gleich Marionetten durch das Geschehen, das sich „Lovely War“ (reizender Krieg) nennt, der nur zehn Millionen Tote gekostet hat. Was diese totale und eigentlich Vnische Clownerie (die nur selten durch beklemmende Ernsthaftigkeit wie in der kurzen Weihnachtsbegegnung zwischen Engländern und Deutschen vor den Schützengräben unterbrochen wird) zwingend zeigt, ist das bewußtlose Hineinschlittern in den Unfug, in die Brutalität und das Schlachten, deren völlige Sinnlosigkeit man gegenseitig nicht wahrhaben wollte. Das englische Ensemble hat im Akademietheater — geleitet von Kevin Palmer — den Höllenspektakel mit ungemein lebendiger Spiellaune vorgeführt.

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