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Ein neues Napoleon-Buch

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In immer sich erneuernden Zyklen hat die Persönlichkeit des „kleinen korsiechen Artillerieleutnante’ die Federn der Dichter, Schrift- eteller und Historiker in Bewegung gehalten; sie angezogen „wie die Motten das Licht“. Von den großen zeitgenössischen Antago- nieten, wie Chateaubriand, Joseph de Maistre und Madame de Stael, angefangen, über Metternich, von dem eine vortreffliche Charakterstudie über Napoleon stammt, über Bėrenger und Victor Hugo bi6 hinauf in unsere Tage. Denn in seinem Lebenslauf liegt alle Tragik de6 Titanischen inbegriffen: Größe, Unrast, Sdiicksalhaftigkeit und Sdiuld.

In dieser wahrhaft ‘ unabsehbaren Flut trat wohl manchmal eine Ebbe ein, aber niemale ein wirklicher Stillstand. So ißt ee für einen Autor einigermaßen gewagt, dieeem dämonischen Leben näherzutreten, ee sei denn ein Historiker vom Range Bainvilles. Man erwartet viel und wird belohnt. In den klaren Linien der klassischen französischen Geschichtsschreibung wird das Bild Napoleons aufgebaut: Ursprung, Werdegang, Ende. Bainville ist weit entfernt von der bonapartisti6chen Glut, von der leidenschaftlichen Ergriffenheit Octave Aubry . Er entwickelt den Lebensablauf aus den — genug 6eltsamen — Zeitumständen, in deren Erkenntnis und Nutzbarmachung Napoleon tatsächlich unerreichte Meisterschaft besaß. Das zweite Leitmotiv ist für Bainville die den Ablauf der napoleonischen Ära bestimmende, schicksalsgegebene Feindschaft Englands, die in einem Akte begründet ist, der noch vor Napoleon vom Konvent gesetzt wurde: der Annexion Belgiens, an der vom Ersten Konsul 60 wenig geändert werden konnte wie vom Kaiser. In seltenem Maße vereinigt Bainvilles Werk schriftstellerische und wissenschaftliche Vorzüge, eine profunde Kenntnis der Tatsachen und Zusammenhänge, eine fließende, wahrhaft klassische Formensprache. Vielleicht tritt in dieser Darstellung das Zwangsläufige, Zeitbedingte stärker in den Vordergrund, als es die Erspürer geheimster napoleonischer Regungen, die hellsichtige Feindschaft de Maistre6 oder der der Madame de Stael an den Tag gefördert hat. Dem vulkanisch Dämonischen-Untergrün- diger gibt der klare, logische Geist des großen französischen Geschichtsschreibers nicht immer den ihm zukommenden Raum.

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