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Hofnarren wieder gefragt

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Von Herrschern in früherer Zeit wird berichtet, sie hätten sich an ihrem Hof Narren gehalten. Diese dienten der Belustigung der Hofgesellschaft, und es wurde mit ihnen viel böser Spott getrieben. Mancher dieser Narren war offensichtlich aber nicht so dumm, wie es den Anschein haben sollte. Besonders in der dichterischen Aufarbeitung der höfischen Epoche erhält der Hofnarr eine bedeutsame zusätzliche Funktion. Weil er ein Narr ist, darf er Unliebsames, aber dafür Wahres, jederzeit sagen - gebeten oder unge-

beten, gelegen oder ungelegen, mit Ehrfurcht vor dem Herrscher oder besser ohne dieselbe.

In der biblischen Tradition scheint es zu dieser Art von Hofnarren eine gewisse Parallele zu geben. Die großen Propheten Israels waren bekannt dafür, daß sie quer zum jeweiligen König, quer zum vorherrschenden Kult sprachen und ihre Botschaft von Gott kündeten, unbeirrbar, gelegen und ungelegen, ja auch verrückt: Oder was sollte man von einem Menschen halten, der sich ein schweres Ochsenjoch um-

hängte und damit mitten durch Jerusalem lief (vgl. Jer 27)? Zwischen den Propheten und den Hofnarren gibt es noch eine andere, eine bedauerliche Beziehung: Manchmal wurde ihre Narren-„Freiheit” doch erheblich, nämlich um einen ganzen Kopf, beschnitten.

Heute gibt es die Hofnarren nicht mehr. Aber wie bitter nötig hätten wir sie! Überall in unserem Leben gehen sie dringend ab: in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Kirche. Und wie weise wären die Machthabenden beraten, hätten sie die

Größe, neben sich anstelle der zahlreichen Jasagerinnen und Jasager jemand zu dulden, der unverblümt, prophetisch die Wahrheit sagen dürfte - selbst um den Preis, aus Selbstschutz der Betroffenen für verrückt gelten zu müssen - : die Wahrheit im Interesse der Konkurrenten, der Mitmenschen, der anderen Kontinente, der Umwelt, die Wahrheit im Interesse Gottes!

Den Narren des Faschings müssen wir nicht nachweinen. Den Hofnarren schon: Es gibt sie nicht mehr, denn es darf sie nicht mehr geben!

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