Jean Stafford: Eine unerbittliche Erzählerin

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Im Alter von 31 Jahren kam die amerikanische Autorin Jean Stafford zu ihrem ersten größeren literarischen Erfolg. Ihr zweiter Roman, „Die Berglöwin“ von 1947, machte sie zu einer anerkannten Größe, sie wurde mit Preisen ausgezeichnet. Privat lief es weniger gut. Mit ihrer Familie kam sie nicht zurecht, sodass sie sich schon als Jugendliche von ihr absentierte. Sie litt unter Alkoholproblemen, ihre drei Ehen verliefen unglücklich.

Jetzt bekommen wir diese Autorin in einer ausgezeichneten Übersetzung zu lesen und staunen, dass sie bei uns eine der Unbekannten geblieben ist. Natürlich sieht man dem Roman an, dass er nicht das Werk einer Frohnatur ist. Molly, mit ihrem Bruder Ralph die Hauptfigur, weist Charakterzüge auf, die der Verfasserin entsprechen. Wie diese verfällt auch Molly früh der Literatur und weist ein störrisches Wesen auf, mit dem die Umwelt nicht umzugehen vermag.

Sie ist die Unangepasste in einer Gesellschaft, in der jeder zu funktionieren hat und sich einen eigenen Kopf nicht erlauben darf. Molly sieht das nicht ein und fällt so als Störenfried unangenehm auf. Jean Stafford ist eine ausgesprochen behutsame Autorin, die langsam die Veränderungen einer Entwicklung vom Kind zur Jugendlichen nachvollzieht. Dazu gehört die wechselvolle Beziehung zum Bruder, der immerhin Halt bietet, aber auch seine Probleme hat mit einer, die stets ausschert.

Stafford zeichnet aus, dass sie nicht mit dem einengenden Schwarz-Weiß-Modus ihr Auslangen findet. Sosehr ihr Molly am Herzen liegt, die Prügel einsteckt, so sehr bringt sie Verständnis für Ralph auf, der nicht weniger verstörungsanfällig sein darf als Molly selbst.

Reich an Episoden und Einfällen

Als Erzählerin fällt Stafford als eine der originellen Gestalten im amerikanischen Literaturbetrieb des 20. Jahrhunderts auf. Ihre Sprache ist klar, knapp, präzise, nie versteigt sie sich in wuchernde, selbstgefällige Satzbauten. Die Kapitel sind genau gegliedert, jedes der neun für sich nach dem Prinzip der Abgeschlossenheit gearbeitet. Sie sind reich an Episoden und Erzähleinfällen, alle sinnvoll und notwendig, um sich ein Bild von den Geschwistern machen zu können.

Nie mischt sich die Erzählerin aufdringlich ein, um seelische Verwirrungen plausibel zu machen, sie erwachsen gleichsam aus der Geschichte heraus. Innere Zustände sind das Ergebnis der äußeren Umstände, und für diese findet Stafford deutliche Worte. Ohne viel Aufhebens bekommen wir mit, wie eine Geschwisterliebe unter den Zumutungen der Verhältnisse zuschanden geht. Das ist hart, wird aber in ungerührtem Tonfall erzählt.

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