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Ohne uns zieht die neue Zeit

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Christoph Heins Erzählungen spannen den Bogen von der Nachkriegszeit bis in die jüngste Vergangenheit der Wendezeit und lassen vieles in der alte DDR plausibel werden.

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Christoph Heins Erzählungen spannen den Bogen von der Nachkriegszeit bis in die jüngste Vergangenheit der Wendezeit und lassen vieles in der alte DDR plausibel werden.

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Diese Erzählungen entstanden zwischen 1977 und 1990. Obwohl der Zeitraum der unterschiedlichen Handlungen an die 50 Jahre umfaßt — es ist von einem aus der Kriegsgefangenschaft Heimkehrenden ebenso die Rede wie vom Leben in einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) der DDR gibt es doch ein Generalthema: die Unangepaßtheit von Menschen an ihre Zeit, an ihre Gesellschaft und damit verbunden das Unverständnis der Mitmenschen. In der Titelgeschichte berichtet Hein vom Bürokratismus in der LPG, von Vertuschungsversuchen von Parteimitgliedern und vom täglichen Grabenkampf von namentlich gekennzeichneten und charakterlich ausformulierten Familienmitgliedern.

Eines davon, Gotthold Sawetzki, wird nach der Entlassung aus der Haftanstalt in den Westen abgeschoben. Als er nach seiner neuerlichen Familiengründung auf Besuch in seine alte Heimat fährt, scheut er sich, seine zweite Frau und die Tochter mitzunehmen, denn im Hause seiner Mutter wohnte noch immer seine Exgattin Yvonne nebst ihrem Sohn. Die Mutter ihrerseits Hein bringt die’ Kluft zwischen Mutter und Sohn in das poetische Bild, daß das Auto ihres Sohnes die Landschaft zerschneiden würde kann ihre Gefühle nicht ausdrücken: „Aber sie fürchtete, sich nicht verständlich machen zu können, und fragte lediglich, ob Yvonne es bemerkt habe, daß Gott- holds blonder, widerspenstiger Haarschopf sich endlich einer ordentlichen Frisur gefügt habe.“

Hein ist ein Meister des Wortes, der durch ausgewogene Formulierungen menschliche Niedertracht ebenso darstellen kann wie unfreiwillig grotesk-komische Situationen,

denen man machtlos gegenübersteht: „Und so fügt man sich in der Hoffnung, daß auch dieser Torwächter es lernen wrerde, w achsam zu sein und ein Mensch zu bleiben.“ Er vermag aber auch den Gewissenskonflikt eines Kindes auf den nachvollziehbaren Punkt zu bringen: „Und dann mußte ich nachsitzen, und am Abend hatte Mama ihre traurigen Augen und mich wieder so angeguckt, i® kann sie nicht belügen. Mama ist der einzige Mensch auf der Welt, deni® i nicht belügen kann, obwohl es besser wäre.“ Hein sagt nicht für wen. So entstehen mehrere Bedeutung^® nen, deren Analyse das Vergnügen an der hervorragenden Prosa no 3 j vergrößern, die von der ,.schön und grimmigen Welt“ berichtet :

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