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Osterreich und seine Ketzer

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Österreichs Millenniumsfeiern scheinen so etwas wie einen Selbstbesinnungsprozeß bei den beiden evangelischen Kirchen ausgelöst zu haben. Die theologischen Opinionleader begreifen allmählich, daß der gute alte Protestantismus wohl im postökumenischen Zeitalter in seinem fast zwangsneurotisch anmutenden Freundlichkeitsritual zu ersticken droht. So besinnt man sich wieder auf die ketzerische Vergangenheit. Und das ist in einem Jahr, in dem sich die lutherische Christenheit „jubiläend" bewußt macht, daß Luther tot ist, umso erfreulicher. Doch die derzeit laufende „51. Evangelische Woche" in Wien, „Österreich und seine Ketzer", will durch ihre teils historischen Vorträge nicht etwa signalisieren, daß ihre Ketzerinnen und Ketzer bedauerlicherweise schon alle längst gestorben sind. Man will ganz sicher nicht im Gedenken verkommen. Sondern Kirchen, die sich der „ständigen Reformation" verpflichtet fühlen, haben wiederentdeckt, daß diese ständige Reformation etwas mit „ständigem Ketzertum" zu tun hat. „Eure Großväter galten als Ketzerich war auch immer einer, wenn auch weltklug genug, um mich dafür nicht totschlagen oder vertreiben zu lassen, und ihr werdet auch Ketzer sein ... ihr könnt nicht wissen, ob nicht aus dem freilich immer kleiner werdenden evangelischen Erbe eines Tages wieder Fruchttragendes entspringt, ein Heil, dessen Beschaffenheit nicht vorstellbar ist, eine weitere unerhörte Geschichte." (Jörg Mauthe)

Ketzerische Gesinnung produziert nicht nur ihre typischen „happenings" - wie der „Anschlag der 95 Thesen" und der Fastenbruch 1523 durch das „Wurstessen in der Buchdruckerei Froschauer" in Zürich - sie hat auch ihre eigene Sprache. Und die steht in der Tradition der alttestamentlichen Prophetie. Ein Großteil dieser Sprachformen ist längst ins literarisch-politische Kabarett ausgewandert.

Hier will das Kabarett „Ketzerey-en"/7. März 1996 im Albert-Schweit-zer-Haus die Ketzersprache wieder in die Kirche zurückholen und sich zu einer verdrängten, ja oft verleugneten, reformatorischen Tradition bekennen.

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