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Vierzehn bittere Geschichten

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GRUSSE VOM KILIMANDSCHARO. 14 Erzählungen und ein Roman. Von Romain G a r j. Piper-Verlag, MUnchen, 1985. 350 Seiten. Preis 15.80 DM.

Der Roman in diesem Band. „Lady L.“, ist im selben Verlag bereits vor sechs Jahren erschienen und wird gegenwärtig verfilmt. Es erübrigt sich, auf ihn noch einmal einzugehen.

Von den vierzehn Erzählungen des französischen Autors ist jede ein Kabinettstück der Erzählkunst. Hinter einem scheinbar einfachen Stil ohne den Luxus poetisierender Schilderungen oder bilderreicher Umschreibungen verbirgt sich eine raffinierte Kunst der Pointierung und der Ironie, außerdem ein ungewöhnlich präziser Sinn für das, was man im Angelsächsischen timinp nennt, die Erfassung also des richtigen Moments für die Plazierung eines Wortes oder einer Beobachtung.

In „Die älteste Geschichte der Welt“ läßt sich ein nach La Paz verschlagener KZ-Insasse nicht überzeugen, daß die Gewaltherrschaft zu Ende ist und daß er von seinen Peinigern nichts mehr zu befürchten hat. Sogar die Existenz eines Staates Israel hält er für eine List, mit der sich die SS mit einem Schlag aller Juden entledigen will. Ein Freund von ihm findet ihn in der Verkleidung als Lamahirte, holt ihn zu sich, gibt ihm Arbeit und Pflege, aber alle Uberzeugungskraft ist vergeblich.

Der Unglückliche stiehlt sich Nacht für Nacht fort, um seinem ehemaligen Peiniger, dem Kommandanten des Konzentrationslagers, Nahrung zu bringen. Er will sich mit ihm gutstellen, um das nächste Mal besser behandelt zu werden. Oder: „Decadece“ ist die traurige Geschichte eines mächtigen Gangsterbosses, der die Gewohnheit hatte, seine Gegner in Zement einzugießen. In seinem Exil in Italien gibt er sich der Kunst hin, und seine Freunde, die bei ihm Hilfe in der Auseinandersetzung um die Beherrschung einer Gewerkschaft suchen, finden ihn bei der Beschäftigung mit dekadenten Bildwerken. Es bleibt ihnen nur, ihn zu erschießen und in Zement zu gießen. Die Betonplastik nehmen sie mit über den Ozean und stellen sie als Denkmal auf, für den Vorkämpfer der Rechte der Hafenarbeiter.

Alle übrigen zwölf Geschichten sind in ihrer Erfindung und in ihrem Verlauf voll gleichen bitteren Spotts wie diese. Die Unbelehrbarkeit, die Eitelkeit, die Bosheit und die Perversion der Menschen werden zu Parabeln, die der gewöhnlichen Fabel eines voraus haben — sie könnten tatsächlich geschehen sein.

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